HOCHMITTELALTER | 1170 – 1230 21 DAS HÖFISCHE EPOS AM BEISPIEL DES PARZIVAL Das Vorbild für das höfische Epos waren französische Versepen des 12. Jahrhunderts. Die französischen Dichter entnahmen ihre Stoffe vor allem dem Sagenkreis um Karl den Großen und der Artussage, die auch von deutschen Dichtern mit Vorliebe bearbeitet wurde. Der sagenhafte britannische König Artus, der gegen die Invasion der Angelsachsen kämpfen musste, versammelt als feudaler Kriegsherr die besten Ritter in seiner Tafelrunde. Jeder dieser Ritter hat seine Abenteuer und Bewährungsproben zu bestehen und gibt so Stoff für einen eigenen Roman ab. Auch ursprünglich selbstständige Stoffe, wie die Geschichte von Tristan und Isolde und die vom heiligen Gral, wurden in den Artussagenkreis einbezogen, so stark war seine Strahlkraft. Die Artusdichtung kam von England über Frankreich nach Deutschland. Hauptkennzeichen der höfischen Epik: • idealistisch wirklichkeitsfremd, Ritter als Vorbild, exklusiv aristokratisch (Standesdichtung) • formal streng durchgebildet (Reinheit der Reime, strenger Rhythmus) • vierhebige, paarweise gereimte Verse • kettenartiger Aufbau (eine Âventiure, ein Erzählabschnitt reiht sich an die nächste, kein linearer Verlauf) Hauptvertreter des deutschen höfischen Epos: • Hartmann von Aue (+ 1210/1220): Erec, Iwein (die Geschichten zweier gegensätzlicher Artusritter) • Gottfried von Straßburg (+ um 1215): Tristan und Isolde • Wolfram von Eschenbach (um 1170 – 1220): Parzival Die Freude am höfischen Leben mit seiner Pracht, seinem Reichtum, seinen glanzvollen Festen stand in einem unüberbrückbar scheinenden Gegensatz zur religiösen Weltsicht des Mittelalters, dass alles Irdische nichtig1 und vergänglich sei und dass nur Weltabkehr, Weltentsagung die Seele vor dem Bösen bewahren könne. So hat denn auch die Frage, wie die freudige Diesseitsbejahung mit einem gottgefälligen Verhalten zu vereinen sei, die Dichter der höfischen Zeit stark bedrängt. Viele suchten daher in ihren Werken nach einer Lebensform, die diesen Zwiespalt aufheben könnte. Wolfram von Eschenbach: Parzival (ca. 1200/1210) Wolfram von Eschenbachs Text gehört zu den meistgelesenen Epen des Mittelalters. Es gibt heute noch etwa 75 Handschriften (einschließlich der Fragmente). Der Stoff wurde auch in der Oper Parsifal von Richard Wagner (1813 – 1883) behandelt. Wolfram hat in seinem Parzival eine ideale Lebensform dargestellt, die des Gralsritters. Parzival ist der Sohn eines auf dem Kreuzzug verstorbenen Ritters. Seine Mutter möchte verhindern, dass er das gleiche Schicksal erleidet, und erzieht ihn fern von aller Welt in einem Wald. Doch eines Tages verlässt Parzival als unerfahrener junger Mann seine zu Tode betrübte Mutter, um Ritter zu werden. Er gelangt an den Hof des Königs Artus, wird aber noch nicht in den Kreis der Artusritter aufgenommen, weil ihm die ritterliSagen um König Artus Dichter höfischer Epen Edward Jakob von Steinle (1810 – 1886), Ruf des Parzival/Parzival-Zyklus, 1884. 1 nichtig: ohne Wert Entwicklung Parzivals zum Ritter Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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