196 Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) Im traurigen Monat November war’s, Die Tage wurden trüber, Der Wind riss von den Bäumen das Laub, Da reist’ ich nach Deutschland hinüber. [...] Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam zumute; Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm verblute. Ein kleines Harfenmädchen sang. Sie sang mit wahrem Gefühle Und falscher Stimme, doch ward ich sehr Gerühret von ihrem Spiele. Sie sang von Liebe und Liebesgram, Aufopf’rung und Wiederfinden Dort oben in jener besseren Welt Wo alle Leiden schwinden. Sie sang vom irdischen Jammertal, Von Freuden, die bald zerronnen, Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt Verklärt in ew’gen Wonnen. Sie sang das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel, Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel. Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu tropfen. Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, Ich kenn auch die Herren Verfasser; Ich weiß, sie tranken heimlich Wein Und predigten öffentlich Wasser. Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten. Wir wollen auf Erden glücklich sein, Und wollen nicht mehr darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, Was fleißige Hände erwarben. Es wächst hienieden Brot genug Für alle Menschenkinder, Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder. Ja Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen. […] 17. Setzen Sie sich damit auseinander, wie Heines Versepos Kritik an der Not in der Zeit des Vormarz ubt: • Analysieren Sie, wie der Text Vorstellungen über das Jenseits (den Himmel) inhaltlich und sprachlich kritisiert und ein gutes Leben im Diesseits (auf Erden) preist. • Vergleichen Sie die Stimmung des lyrischen Ichs mit der Stimmung des lyrischen Ichs in Winternacht von Lenau. • Interpretieren Sie die Aussage der beiden letzten Verse des Textausschnitts. 2 4 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 6 8 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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