Killinger Literaturkunde, Schulbuch

180 hinaus, sie beschränkt sich auf engen Raum: auf Garten und Haus, auf die Familie, die nächste Umgebung. Viele Werke sind von der Umwelt der Dichterin oder des Dichters geprägt, die Werke Stifters vom Böhmerwald, die Raimunds und Nestroys von der Wiener Vorstadt, die Gotthelfs vom Berner Oberland. Es wird das Leben des einfachen Bürgertums geschildert, über deren Armut die Dichtung hinwegtrösten soll. Armut wird als Tugend dargestellt. Die Probleme der Arbeiterschaft werden ausgespart. Breiten Raum nimmt die Landschaftsschilderung ein (z. B. bei Stifter und Gotthelf), denn eine Landschaft ist unpolitisch. Es ist allerdings nicht mehr die romantische Ideallandschaft, sondern eine erlebte, reale Landschaft mit genauer Wiedergabe der Dinge, die zu beobachten sind. Dabei zeigt sich ein Hang zum Kleinen, zur „Naheinstellung“. Ähnlich konkret wie Landschaften werden Innenräume geschildert. Das Biedermeier ist die Zeit der geselligen Kleinkunst. In der Malerei herrscht eine Vorliebe für die Miniatur, in der Literatur werden epische Kleinformen wie die Erzählung, die Skizze, das Märchen, die Idylle bevorzugt. Es wird wieder viel gereimt, wie in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Gedichte werden zu Zyklen zusammengeschlossen. Die Liedtradition der Romantik wird fortgesetzt, viele Gedichte werden vertont (Schubert, Schumann). In der Ballade verzichtet man auf das Heroische zugunsten des Stimmungshaften und Volkstümlichen (Mörike, Der Feuerreiter 1823/1824). Beliebt ist das Kleinformat des Buches: Gedichtsammlungen, Almanache, Kalender, Poesiealben im handlichen Taschenbuchformat sind in Mode. Die Sprache kennzeichnet in der Lyrik ein leiser, wehmütiger Ton, in der Prosa ein Zug zu Genauigkeit und Sachlichkeit. Das ist ein markanter Unterschied zur Romantik. Der Wortschatz, die Syntax sind konservativ, man will sprachlich keine Neuerungen, keine Experimente. Bei manchen Dichtern (z. B. bei Jeremias Gotthelf) kommen mundartliche Wendungen und Wörter vor. Durch die Vorliebe für Verkleinerungsformen erhält die Sprache etwas Niedliches, Sanftes. Sie knüpft eher an Formen des Rokoko an und steht im Gegensatz zur Sprache des Sturm und Drang. Die Hochliteratur des Biedermeier fand kein sehr großes Publikum. Grillparzer und Stifter hatten nur in ihren Anfängen spektakuläre Erfolge. Nikolaus Lenau, Eduard Mörike, Annette von Droste-Hülshoff kamen über ihren Bekanntenkreis kaum hinaus. Erst nach 1900 beschäftigte man sich wieder mit Biedermeierliteratur. Die Lesergunst gehörte auch im 19. Jahrhundert vor allem der trivialen Romanliteratur, dann auch realistischen und gesellschaftskritischen Schilderungen, wie sie seit der Jahrhundertmitte die Franzosen lieferten. DRAMA DES BIEDERMEIER Das Drama des Biedermeier war durch zwei Varianten geprägt. Franz Grillparzer (1791 – 1872) suchte den Anschluss an die deutsche Klassik und das Barocktheater sowie an spanische Traditionen, die Wiener Volkskomiker Ferdinand Raimund (1790 – 1836) und Johann Nestroy (1801 – 1862) an die Wiener Volkstheatertradition, deren Nährboden in der Spannweite zwischen barockem Maschinerietheater mit Götterhimmel und Zauberspuk und der Komödie bürgerlicher Charaktertypen liegt. Alle drei Autoren wurden von der Zensur in ihrer Arbeit behindert. Die Einschränkungen durch die Zensur betrafen alle Gattungen, besonders aber das Drama, da es die Möglichkeit hat, die Zuseherinnen und Zuseher direkt anzusprechen, und damit eine unmittelbarere Wirkung als mit anderen Formen zu erzielen ist. Raimund wich den Beschränkungen dadurch aus, dass er die Handlungen in die Märchen- und Feenwelt verlegte, Nestroy wiederum arbeitete mit Wortwitz und Improvisation, die den Zensoren die Arbeit erheblich erschwerten. Vorliebe für epische Kleinformen Konservative Sprachform Zensur Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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