Killinger Literaturkunde, Schulbuch

178 Die Epoche vom Wiener Kongress, 1815, bis zum entscheidenden Wendepunkt der Geschichte des 19. Jahrhunderts, zur bürgerlichen Revolution im März 1848, nennt man „Biedermeier“ bzw. „Vormärz“. Die Zeit weist die unterschiedlichsten Strömungen auf: einerseits die unpolitische Kultur des Biedermeier, andererseits revolutionäre Kräfte, die eine Zerschlagung des herrschenden Systems anstrebten. BIEDERMEIER Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich (1773 – 1859) hatte im Wiener Kongress (1814 – 1815) eine Neuordnung Europas im Sinne eines wiedererstarkten fürstlichen Absolutismus durchgesetzt („Restauration“) und seine Machtposition bis zur Revolution von 1848 behauptet. Das Bürgertum hatte keine Möglichkeit, sich politisch zu betätigen, und war von jeder Beteiligung an der Macht ausgeschlossen. Freiheitliche Bewegungen, wie die Burschenschaften, wurden verfolgt, ihre Mitglieder inhaftiert. Dieses System setzte genaue Kontrollen voraus, weswegen der Staat einen umfangreichen Polizeiapparat samt Spitzelwesen aufbauen musste. Die Landesgrenzen waren bewacht, die Ein- und Ausreise erschwert. Literarische Werke, Zeitschriften und Zeitungen wurden von der Zensur kontrolliert. Johann Nepomuk Nestroy (1801 – 1862) schreibt darüber in seinem Stück Freiheit in Krähwinkel (1848): Die Zensur ist die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heißt Inquisition.1 Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können. Man kann in dieser staatlichen Ordnung bei entsprechender Perspektive auch einige positive Merkmale sehen: Nach den Unruhen der Französischen Revolution und nach den zahlreichen Feldzügen gegen Napoleon bedeutete das System Metternichs militärisch Friede. Die Staaten gewannen innere Stabilität, der Handel und das Gewerbe erreichten eine hohe Blüte, die Unternehmerinnen und Unternehmer innerhalb des Bürgertums wurden wohlhabend. Später wurde auf das Biedermeier mit Sentimentalität zurückgeblickt. Das Wort Biedermeier findet sich zuerst als Name für eine Spottfigur in der Münchner Zeitschrift Fliegende Blätter. Gemeint war damit der zufriedene, unpolitische, im kleinen Kreis bleibende, Verse reimende „Philister“. Erst im 20. Jahrhundert wurde „Biedermeier“ positiv verstanden und zunächst für die Kleidermode und die Möbel der Restaurationszeit verwendet, für einen Wohnstil, der durch Wiederherstellung des Absolutismus 1 Inquisition: Einrichtung der katholischen Kirche, die mit großer Härte gegen abtrünnige Gläubige und Ketzer vorging Begriff: Biedermeier BIEDERMEIER UND VORMÄRZ 1815 BIS 1848 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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