Killinger Literaturkunde, Schulbuch

172 ROMANTISCHE LYRIK Die romantische Lyrik erwächst aus dem Volkslied, sowohl in Bezug auf die Themen als auch auf die Formen. Das Musikalische und das Rhythmische der Sprache kommen zu besonderer Wirkung. Romantische Lyrik hat viele Musiker zu Vertonungen veranlasst (z. B. Franz Schubert). In der Chronika des fahrenden Schülers (1818) von Clemens Brentano (1778 – 1842) singt die Mutter des Ich-Erzählers am Spinnrad das folgende Lied: Clemens Brentano: Der Spinnerin Nachtlied (1802) Es sang vor langen Jahren Wohl auch die Nachtigall. Das war wohl süßer Schall, Da wir zusammen waren. Ich sing und kann nicht weinen Und spinne so allein Den Faden klar und rein, Solang der Mond wird scheinen. Da wir zusammen waren, Da sang die Nachtigall. Nun mahnet mich ihr Schall, Dass du von mir gefahren. Sooft der Mond mag scheinen, So denk ich dein allein. Mein Herz ist klar und rein, Gott wolle uns vereinen. Seit du von mir gefahren, Singt stets die Nachtigall, Ich denk bei ihrem Schall, Wie wir zusammen waren. Gott wolle uns vereinen. Hier spinn ich so allein, Der Mond scheint klar und rein, Ich sing und möchte weinen. 7. Analysieren Sie dieses Lied: • Bestimmen Sie Versform und Reimschema. • Nennen Sie Motive, die Brentano verwendet. • Bringen Sie die Wiederholung der Motive in einen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Spinnerin. 8. Experimentieren Sie mit der Anordnung der Strophen: • Verschieben Sie einzelne Strophen. • Lesen Sie das Gedicht in einer anderen Anordnung, z.B. von hinten. • Beurteilen Sie die Wirkung dieser Experimente. In Brentanos Märchen von dem Myrtenfräulein singt der Prinz seinem Mädchen folgendes Schlaflied: Clemens Brentano: Hörst du, wie die Brunnen rauschen? (um 1810) Hörst du, wie die Brunnen rauschen? Hörst du, wie die Grille zirpt? Stille, stille, lass uns lauschen, Selig, wer in Träumen stirbt, Selig, wen die Wolken wiegen, Wem der Mond ein Schlaflied singt! O! wie selig kann der fliegen, Dem der Traum den Flügel schwingt, Dass an blauer Himmelsdecke Sterne er wie Blumen pflückt: Schlafe, träume, flieg, ich wecke Bald dich auf und bin beglückt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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