Killinger Literaturkunde, Schulbuch

GESCHICHTE VON DOKTOR FAUST, DEM TEUFELSBÜNDLER 135 Aus Benno von Wiese (1903 – 1987), Faust als Tragödie und Mysterienspiel, Hamburg 1948: [...] der Prolog im Himmel und die Erlösung in der Transzendenz1 ist reines Mysterienspiel, das christliche Symbole im Goetheschen Sinne umformt und Gott und Teufel zu Mitspielern einer paradigmatisch2 verstandenen menschlichen Seele macht, die in einen Erdenlauf hineingestellt ist, der seinem innersten Wesen nach Tragödie sein muss, also nach Goethes Worten auf „einem unausgleichbaren Gegensatz“ beruht und ohne „Ausgang“ ist. Das übertragische, im Himmel gründende und zum Himmel führende Mysterienspiel vermag allein die Tragik aufzuheben, in die alles Irdische gestellt ist und für die Faust einmaliger, unverwechselbarer Träger und zugleich symbolisches Organ überhaupt ist. 9. Diskutieren Sie die Standpunkte der zitierten Autoren: • Fassen Sie die jeweiligen Texte kurz zusammen. • Untersuchen Sie die Wortwahl der Autoren. • Erläutern Sie, wovon die Autoren beeinflusst sind, und recherchieren Sie dazu ihre Biographien in Nachschlagewerken bzw. im Internet. • Beziehen Sie kritisch Stellung zu Ihren Ergebnissen. NIKOLAUS LENAU: FAUST. EIN GEDICHT Faust. Ein Gedicht (1836/1840) von Nikolaus Lenau (1802 – 1850) entstand 1833 bis 1835 als Gegenstück zu Goethes Faust. Sprache und Versform sind zwar sehr stark von Goethe beeinflusst, doch die Figur des Faust wird anders gesehen, die Handlungsführung weicht in wesentlichen Punkten vom großen Vorbild ab. Es handelt sich um eine locker gefügte, oft lyrisch getönte Szenenfolge mit vielen Monologen des reflektierenden Faust und einer Erzählerfigur, die dem Ganzen einen epischen Charakter verleiht. Bei der ersten Begegnung mit Faust erklärt Mephisto, dass der Mensch sein Leben entweder in sinnloser Stumpfheit vertun müsse oder am nagenden Zweifel, an den ewig ungelösten Fragen nach Leben und Tod scheitere. Sein einziger Ausweg besteht darin, Gott dessen Geheimnisse abzutrotzen: MEPHISTOPHELES: Dein Schöpfer ist dein Feind, gesteh dir’s keck, Weil grausam er in diese Nacht dich schuf, Und weil er deinen bangen Hilferuf Verhöhnt in seinem heimlichen Versteck. Du musst, soll sich dein Feind dir offenbaren, Einbrechen plötzlich als ein kühner Frager In sein geheimnisvoll verschanztes Lager, Musst angriffsweise gegen ihn verfahren. Willst du in deines Feinds Entwürfe dringen, So musst du ihn durch tapfern Angriff zwingen, Dass er die stumme, starre Stellung bricht Und, aufgereizt, sich endlich rührt und spricht. Du musst entweder dieses Erdenleben Vertaumeln dumpf in viehischer Geduld; Faust als barockes Mysterienspiel 5 Der suchende Faust 5 10 1 Transzendenz: hier: etwa: Jenseits 2 paradigmatisch: beispielhaft Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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