Killinger Literaturkunde, Schulbuch

130 Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil (1797 − 1806) DER HERR: Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab, Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen, Auf deinem Wege mit herab, Und steh beschämt, wenn du bekennen musst: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Die Parallelstelle, der Ausgang der Wette, findet sich am Ende des zweiten Teiles, nach Fausts Tod, als ein Chor der Engel verkündet: ENGEL: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Das sich durch beide Teile des Faust ziehende Thema wird damit deutlich: Das Böse gewinnt letztlich doch keine Gewalt über den Menschen, auch wenn dieser schwere Schuld auf sich lädt. Denn der Mensch ist ein Teil der göttlichen Weltordnung und wird durch die Liebe Gottes erlöst. Zentrales Element in Der Tragödie erster Teil ist der Teufelspakt. Faust schildert im folgenden Monolog die Ausgangssituation: FAUST: Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh’ ich nun, ich armer Tor1, Und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, Und ziehe schon an die zehen Jahr’ Herauf, herab und quer und krumm Meine Schüler an der Nase herum – Und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen2, Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel – Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen, Bilde mir nicht ein, was Rechtes zu wissen, Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab’ ich weder Gut noch Geld, Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt; Es möchte kein Hund so länger leben! 5 10 1 Tor: einfältiger Mensch 2 Laffe: eitler junger Mann 15 20 25 30 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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