Killinger Literaturkunde, Schulbuch

GESCHICHTE VON DOKTOR FAUST, DEM TEUFELSBÜNDLER LÄNGSSCHNITT 125 Es gibt in der deutschen Literatur keinen Stoff, der so oft bearbeitet worden ist wie der über Doktor Faust, der durch einen Pakt mit dem Teufel magische Kräfte gewinnt, dadurch die menschliche Sphäre überwindet und Einblicke in andere Welten erhält. Die Vorstellung von der Überschreitung der engen menschlichen Grenzen ist offenbar immer mit der Vorstellung des Sündhaften verbunden, der vermessenen Überheblichkeit, die mit der Hölle bestraft wird. Die Ursprünge des Teufelspakts gehen bis ins Mittelalter zurück (vgl. auch verschiedenste Sagen, in denen es zu einem Teufelspakt kommt). Bereits die Nonne Hrotsvit von Gandersheim (etwa 935 – 975) beschreibt in ihrer Version der auf Latein verfassten Theophilus-Legende einen Teufelspakt, der zu weiteren Bearbeitungen dieses Stoffes im Mittelalter und danach führte. Der historische Georg Faust (1480 – 1540) ist die mehr oder weniger zufällige Kristallisationsfigur dieses Urstoffes der deutschen Literatur, eines Stoffes, der etwa auch an der Figur des Paracelsus1 hätte dargestellt werden können. Faust, ein Bauernsohn, studierte in Wittenberg, trieb sich dann an vielen Universitäten Deutschlands herum und hielt Vorlesungen über Gebiete aus den damaligen Modewissenschaften Medizin, Astrologie und Alchemie. Mehrere Zeitgenossen, auch aus dem Kreis Luthers, erwähnten ihn, meist allerdings in negativem Sinn. Schon zu seinen Lebzeiten gingen Gerüchte über ihn um: Er könne Tote und Geister beschwören, die Zukunft prophezeien und habe in Venedig einen Flugversuch unternommen. Damals wie heute beflügelte die unbändige Neugier der Menschen die Phantasie, in Bereiche einzudringen, die dem Menschen verschlossen sind. Bereits 47 Jahre nach Fausts mystifiziertem Tod – plötzlich soll ihn der Teufel geholt haben – wurde die Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler (1587) gedruckt, die ein großer finanzieller Erfolg wurde, denn noch im selben Jahr wurden vier Nachdrucke notwendig. Der ungenannte (und uns unbekannte) Verfasser trug die mündlich überlieferten Geschichten zusammen, schrieb aber auch aus älteren Druckwerken ab. So wurde das Volksbuch von Doktor Faust (ähnlich wie das von Eulenspiegel) zwar kein Roman mit einer entwickelten Handlung, aber eine wirkungsvolle Sammlung einzelner in sich geschlossener Geschichten, die den Vorteil hatten, dass in den vielen späteren Drucken weitere Geschichten eingefügt werden konnten. Der erste Verfasser muss – von seiner Zeit geprägt – ein tiefes Misstrauen gegen das Erkenntnisstreben des Menschen gehegt haben und ein protestantischer Sitteneiferer gewesen sein; denn der Zweck seines Buches war ein religiös-moralischer: Die Leserinnen und Leser sollten zwar ihre Sensationslust und Neugier bis hin zu erotischen Tagträumereien (Faust kommt u. a. auch in einen türkischen Harem) stillen können, aber durch das Schicksal Fausts davor gewarnt werden, sich dem Bösen zu verschreiben. Der geschichtliche Faust 1 Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus (ca. 1493 – 1541) war ein bedeutender Schweizer Arzt, Naturphilosoph, Naturmystiker, Alchemist, Laientheologe und Sozialethiker und gilt als Wegebereiter der modernen Medizin. Der sündhaft überhebliche Faust Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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