Killinger Literaturkunde, Schulbuch

120 Ausschnitt aus einer anonymen Rezension im Magazin der Philosophie und schönen Literatur, Leipzig (1785): In der Gegend von Bayern und Schwaben rotteten sich vor nicht langer Zeit gefährlich schwärmende Jünglinge zusammen und wollten nichts Geringeres ausführen, als sich durch Mord und Mordbrennerei auszuzeichnen und einen Namen zu machen oder dem großen Drange nachzugeben, Räuber und Mordbrenner zu werden. – Und welcher Anlass konnte solche unglückliche, in der Imagination1 versengte Menschen verleiten und sie auf den Grad von Ausschweifungen bringen, wenn wir es aufs Gelindeste benennen? Sie wollten Schillers „Räuber“ realisieren. 17. Vergleichen Sie die verschiedenen Aspekte, die in diesen Rezensionen angesprochen werden (Sprache, Darstellungsweise, Rezeption, Wirkung auf die Leserschaft). Bürgerliches Trauerspiel Das bürgerliche Trauerspiel ist ein epochenübergreifendes Phänomen, das seine Wurzeln im 18. Jahrhundert hat. Als Vorläufer gilt das Trauerspiel Cardenio und Celinde (1657) von Andreas Gryphius (1616 – 1664), der darin erstmals die Ständeklausel (vgl. Martin Opitz S. 60) umging. Es zeigt – im Gegensatz zur bis dahin verbreiteten Auffassung von der Tragödie – das Bürgertum in einem tragischen Konflikt. Zugleich wandelt sich der öffentliche Charakter der Tragödie in einen privaten: Wenn Heldinnen und Helden und Herrscher durch tragische Schuld zugrunde gehen, so wird dies zu einer historischen Katastrophe. Wenn Bürgerliche scheitern, bleiben die Auswirkungen in engen Grenzen. Die bürgerlichen Trauerspiele des 18. Jahrhunderts bringen die Auflehnung der Bürgerin bzw. des Bürgers gegen die aristokratische Gesellschaftsordnung und die moralische Verworfenheit des Adels auf die Bühne. Sie setzen bürgerliche Tugenden wie Humanität, Toleranz, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Gefühlsleben und Ehrlichkeit dagegen. Dennoch scheitern die bürgerlichen Helden und Heldinnen, und zwar an den herrschenden Verhältnissen und an ihren eigenen Gefühlen: Emilia Galotti (1772) (in Lessings gleichnamigem Drama) wird beispielsweise auf eigenen Wunsch vom Vater getötet, um ihre Ehre zu bewahren, das von einem Adeligen verführte Evchen (in Heinrich Leopold Wagners (1747 – 1779) Die Kindermörderin (1776)) bringt ihr uneheliches Kind aus Verzweiflung um. Die Sprache ist nicht mehr in Verse gebunden wie früher. In bewusstem Gegensatz zur Tradition schreiben die Stürmer und Dränger eine ausdrucksstarke, expressive Prosa. Im bürgerlichen Realismus erwächst der Konflikt nicht mehr aus dem Standesunterschied zwischen Bürgertum und Adel, sondern aus der moralischen Beschränktheit und Verhärtung des Kleinbürgertums selbst: In dem Drama Maria Magdalene (1843) von Friedrich Hebbel (1813 – 1863) treibt der Vater seine Tochter Klara, die sich nicht nur ihrem Bräutigam, sondern auch einem früheren Jugendfreund hingegeben hat, in die Katastrophe. Die naturalistischen Dramen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden, stellen zwar auch Konflikte innerhalb des Bürgertums dar, das vielfach mit seinen seelischen Problemen nicht mehr fertig wird. Doch der Schwerpunkt der Tragödie verschiebt sich vom Bürgertum auf den Arbeiterstand. 5 1 Imagination: Vorstellung Bürgerliche Moral und herrschaftliche Unmoral Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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