erleben und gestalten 3 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

90 Kolonialismus Kritik und Widerstand Kritische Stimmen Die Kolonien wurden wirtschaftlich ausgebeutet. Die Kolonialmächte behandelten die Einheimischen oft als Menschen zweiter Klasse. Von Beginn an gab es Personen, die daran Kritik übten. Heute ist es aber auch wichtig, nach den Hintergründen und den Folgen von geäußerten Kritiken zu fragen. Beispielsweise kritisierte der Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas im 16. Jh. die Behandlung der Indigenen durch die spanischen Kolonisatoren. Er schlug vor, für die harte Arbeit besser Menschen aus Afrika einzusetzen. Später kritisierte er auch den Sklavenhandel. Zu Beginn des 20. Jh. kritisierte der Sozialdemokrat August Bebel die Unterdrückung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung in den Kolonien. Gleichzeitig meinte er aber, dass es in Ordnung sei, die indigene Bevölkerung zu bilden und ihnen die europäische Kultur näher zu bringen. Er vertrat damit die Meinung, dass alle Menschen auf der Welt so leben müssten, wie es in Europa üblich war. Die indigene Bevölkerung kritisierte das Vorgehen der Kolonialmächte ebenso. Allerdings kennen wir hierfür in Europa derzeit nur wenige Quellen. Widerstand gegen die Kolonialherrschaft Dass die indigene Bevölkerung die europäische Kolonialherrschaft oft kritisch sah oder ablehnte, zeigen uns die Versuche des Widerstandes. So setzten sich z. B. die Herero und Nama im heutigen Namibia und die Boxer, ein Volk im heutigen China, zur Wehr. Beide Aufstände wurden jedoch blutig niedergeschlagen. Aufstand der Herero Das Deutsche Reich errichtete 1884 auf dem Gebiet des heutigen Namibia (Afrika) die Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Um 1900 lebten dort rund 12.000 deutsche Einwanderinnen und Einwanderer. Diese sahen sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung als überlegen an. Das Volk der Herero wurde wirtschaftlich ausgebeutet und unterdrückt. 1904 wollten sich die Herero die Behandlung nicht mehr gefallen lassen und erhoben sich. Sie töteten 123 Deutsche und zerstörten Teile der Infrastruktur (z.B. Eisenbahn). Deutsche Truppen, die in die Kolonie geschickt wurden, schlugen den Aufstand rasch nieder. Die überlebenden Herero wurden in die Wüste vertrieben. Der deutsche Oberbefehlshaber General Lothar von Trotha ließ dann alle Wasserstellen absperren, sodass die meisten Herero verdursteten. Diese Vorgangsweise gilt heute als Völkermord. Erst 2004 entschuldigte sich die deutsche Bundesregierung für die Gräueltaten. Boxeraufstand Ende des 19. Jh. vergrößerte sich der Einfluss der europäischen Kolonialstaaten auch auf das Kaiserreich China. Eine chinesische nationalistische Bewegung wollte sich dagegen wehren. Sie wurden aufgrund ihres Kampfsports Boxer genannt. Die Boxer zerstörten ausländisches Eigentum und griffen Missionare sowie chinesische Christinnen und Christen an. Diese flohen 1900 zusammen mit Diplomatinnen und Diplomaten und Soldaten in das Diplomatenviertel von Peking. 55 Tage belagerten die Boxer dieses gemeinsam mit der kaiserlichen Armee Chinas. Acht Staaten, darunter auch Österreich-Ungarn, sandten daraufhin Truppen. Diese beendeten die Belagerung. Viele Personen, die verdächtigt wurden, Boxer zu sein, wurden daraufhin getötet. ÷ Die europäische Forschung hat sich lange Zeit nur wenig mit der Geschichte der kolonialisierten Gebiete befasst. Wir kennen daher hauptsächlich die europäische Perspektive. Quellen zur Sicht der Indigenen wurden oft zerstört. Es kann auch sein, dass einige noch nicht entdeckt oder noch nicht übersetzt wurden. ÷ Heute gibt es in Namibia noch rund 20.000 Menschen, die Deutsch als Erstsprache sprechen. ÷ Rund 80 % des Volkes der Herero wurden von den deutschen Kolonialtruppen ermordet. Aus der Wüste zurückgekehrte Nama (Bildausschnitt), Foto, 1905 P Diplomatin bzw. Diplomat: offizielle Vertreterin bzw. Vertreter eines Staates in einem anderen Staat Digitales Zusatzmaterial 6ps3hu Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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