80 Industrialisierung Wien um 1900 Städtewachstum Die Industrialisierung führte unter anderem dazu, dass viele Menschen in die Städte zogen, weil es dort mehr Arbeit gab. Dies betraf auch Wien. Aus allen Teilen der Monarchie zogen Menschen in die Hauptstadt. 1850 lebten in Wien rund 500.000 Menschen, 1910 waren es rund 2,1 Millionen. Es war eine pulsierende Stadt, in der Menschen ganz unterschiedlicher Nationalität und Religion lebten, arme wie reiche. Erweiterung und Modernisierung der Stadt Bis zur Mitte des 19. Jh. gab es in Wien eine Stadtmauer. Sie wurde abgerissen, da sie aufgrund der modernen Waffentechnik nicht mehr wie früher vor Feinden schützen konnte. An ihrer Stelle wurde eine Prachtstraße angelegt, die heutige Ringstraße. An dieser wurden viele offizielle Gebäude, wie das Parlament, die Universität und ein neues Rathaus, errichtet. Von wohlhabenden Familien wurden viele Palais errichtet und es entstanden Häuser für die Kunst (z. B. Burgtheater, Staatsoper). Durch den Bau der Ringstraße wurden die Innere Stadt und die ehemaligen Vorstädte baulich miteinander verbunden. Später wurden auch die Vororte und weitere Gebiete eingemeindet. Die Fläche von Wien wuchs damit enorm. Die Stadt wurde auch modernisiert. Der Bau der II. Wiener Hochquellenwasserleitung brachte etwa sauberes Trinkwasser in viele Häuser der Stadt. Glanz und Elend Wien galt um 1900 als Weltstadt, wo u. a. in der Kunst und der Wissenschaft die Modernisierung vorangetrieben wurde. In den Kaffeehäusern der Stadt konnte man bekannte Literaten wie Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig treffen. In der Wissenschaft gelangen in Wien zu dieser Zeit große Fortschritte. Sigmund Freud entwickelte etwa die Psychoanalyse. Wichtige Erkenntnisse lieferten auch die Philosophen Ludwig Boltzmann, Karl Popper und Ludwig Wittgenstein. Um 1900 lebten in Wien auch viele bedeutende Künstlerinnen und Künstler. Zu den heute bekanntesten zählen die Malerin Tina Blau, die Maler Gustav Klimt, Oskar Kokoschka und Egon Schiele sowie die Architekten Adolf Loos und Otto Wagner. Die von ihnen geprägte Kunstrichtung wird Wiener Moderne genannt. Ihre Kunstwerke verkauften die Künstlerinnen und Künstler an Adelige und Bürgerliche, die damit ihre Wohnsitze ausstatteten. Arbeiterinnen und Arbeiter lebten dagegen in sehr kleinen Wohnungen. Gründe für die rasche Ausbreitung von Krankheiten, wie der Tuberkulose, waren neben beengten Wohnverhältnissen schlechte Gesundheitsvorsorge und Mangelernährung. Der Großteil der Bevölkerung kämpfte um das tägliche Überleben. Schaffung von Feindbildern Die gesellschaftliche Vielfalt in Wien um 1900 wurde nicht von allen befürwortet. Rassismus und Antisemitismus waren im Bürgertum weit verbreitet, weniger in der Arbeiterschaft. Gefordert wurden „Reinheit des Blutes“ und „Reinheit der germanischen Kultur“. Auch politische Parteien und Politiker argumentierten antisemitisch, nationalistisch und rassistisch. 1897 bis 1910 war Karl Lueger von der Christlichsozialen Partei Bürgermeister. Er bekannte sich zum Antisemitismus und bezeichnete Jüdinnen und Juden als „Raubtiere in Menschengestalt“. Auch Zugewanderte lehnte er ab und sah „sein Volk“ als deutsch und christlich an. ÷ Heute leben in Wien etwas über 2 Millionen Menschen. ÷ Die Ringstraße wurde kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges fertiggestellt. P Palais: prachtvolles, großes Wohngebäude P Tuberkulose: sehr schwere Infektionskrankheit; befällt meist die Lunge; kann zum Tod führen ÷ Aufgrund seiner antisemitischen Politik wird Karl Lueger heute sehr kritisch gesehen, obwohl unter ihm Wien auch modernisiert wurde. Dafür war er vielfach geehrt worden. So hieß lange Zeit ein Straßenabschnitt „Dr.-KarlLueger-Ring“. 2012 wurde er in Universitätsring umbenannt. Über andere Ehrenzeichen (z.B. Denkmäler) wird immer wieder diskutiert. Beschmiertes Lueger-Denkmal an der Wiener Ringstraße, Foto, 2023 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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