74 Industrialisierung Soziale Frage Kapitalismus Kapitalistinnen und Kapitalisten setzten im Zeitalter der Industrialisierung ihr Kapital, also ihr Vermögen, zur Errichtung und Ausstattung von Fabriken ein. Diese erzeugten verschiedenste Produkte. Um beim Verkauf der Waren einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, bezahlten sie den Arbeiterinnen und Arbeitern meist einen möglichst geringen Lohn. Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde dadurch immer größer. Man spricht von der „sozialen Frage“. Die Arbeiterinnen und Arbeiter greifen zur Selbsthilfe Die Arbeiterinnen und Arbeiter begannen sich gegen ihre Ausbeutung zu wehren und schlossen sich zu Vereinen und später zu Gewerkschaften zusammen. Sie protestierten auf der Straße, es wurden Fabriken gestürmt und Maschinen zerstört. Gefordert wurden höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, kürzere Arbeitszeiten und Absicherung bei Krankheit oder Arbeitsunfällen. Ab der 2. Hälfte des 19. Jh. konnten die Forderungen schrittweise durchgesetzt und Verbesserungen erreicht werden. In Österreich-Ungarn wurde beispielsweise 1885 der 11-Stunden-Arbeitstag eingeführt bzw. 1888 das erste Gesetz zur Krankenversicherung beschlossen. Lösungsversuche der Unternehmerinnen und Unternehmer Erst als die Streiks und Proteste durch die Arbeiterinnen und Arbeiter immer häufiger wurden, kamen einige Fabriksbesitzerinnen und -besitzer den Forderungen zumindest teilweise entgegen. Sie erkannten, dass Reformen zur Behebung der sozialen Missstände erforderlich waren. Durch ihr Entgegenkommen erhofften sie sich, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter eine bessere Arbeitsleistung erbringen würden. Kranken-, Pensions- oder Sterbekassen für die Belegschaft wurden eingeführt. Die meisten Fabrikantinnen und Fabrikanten zahlten jedoch nicht freiwillig mehr Lohn. Auch Arbeitsbedingungen, die besser als die gesetzlich erforderlich waren, gab es selten. Manche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verboten ihrer Belegschaft, Gewerkschaften zu gründen oder sich als Arbeitervertreterinnen und -vertreter zu betätigen. Lösungsversuche der Kirche Lange Zeit nahm sich die katholische bzw. evangelische Kirche nicht der Lösung der „sozialen Frage“ an. Erst Mitte des 19. Jh. begannen einzelne Priester, ebenfalls nach Lösungen zu suchen. Einer von ihnen war der deutsche Kaplan Adolf Kolping. Er gründete katholische Gesellenvereine, die sogenannten „Kolpingfamilien“. Diese boten schon bald in vielen Orten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz jungen Handwerkern günstige Unterkünfte. Papst Leo XIII. widmete sich 1891 als erstes Kirchenoberhaupt der „sozialen Frage“ rund um die Arbeiterschaft in seiner Enzyklika „Rerum novarum“. Er nimmt darin zu den verschiedenen Lösungsversuchen Stellung und erklärt, welche Rolle die Kirche bei der Überwindung der „sozialen Frage“ einnehmen kann. Plakat zum 1. Mai 1909. 1889 wurde der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. P Kapitalismus: Wirtschaftsordnung, gekennzeichnet durch Privateigentum an Produktionsmitteln und freie Marktwirtschaft P Gewerkschaft: Organisation zur Vertretung der Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern P Papst Leo XIII. (1810–1903): ging als politischer Papst in die Kirchengeschichte ein; verfasste mit „Rerum novarum“ die erste Sozialenzyklika; wurde wegen seiner Anteilnahme an der sozialen Frage auch „Arbeiterpapst“ genannt P Enzyklika: Rundschreiben Enzyklika „Rerum Novarum“ (Bildausschnitt), (dt. Ausgabe: „Über die Arbeiterfrage“), 1891 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==