60 Revolutionen Jüdisches Leben Zwischen Duldung und Vertreibung Schon im Römischen Reich siedelten Jüdinnen und Juden auf dem Boden des heutigen Österreich. Im späten Mittelalter gab es zahlreiche jüdische Gemeinden, beispielsweise in Wien oder Krems. Das Zusammenleben mit der christlichen Mehrheitsgesellschaft war aber immer wieder schwierig. 1420/21 erreichte die Feindschaft gegenüber Jüdinnen und Juden einen Höhepunkt. Auf Befehl von Herzog Albrecht V. sollten alle Jüdinnen und Juden im Herzogtum Österreich vertrieben oder ermordet werden. Die Wiener Gemeinde wurde vernichtet. Die Ereignisse werden als „Wiener Gesera“ bezeichnet. Auch in den folgenden Jahrhunderten wurden Jüdinnen und Juden immer wieder vertrieben, so 1669/70 aus Wien und 1744 aus Prag. Entwicklung im 18./19. Jh. 1782 erließ Joseph II. ein Toleranzpatent für die Jüdinnen und Juden von Niederösterreich und Wien. Damit erhielten sie erste bürgerliche Rechte. Einige diskriminierende Bestimmungen wurden abgeschafft. Dies bedeutete aber keineswegs eine Gleichstellung in der Gesellschaft. Jüdische Kinder mussten deutschsprachige, christliche Schulen besuchen. Ziel war es, dass sie sich an die christlich-deutsche Kultur anpassen. Aufgrund dieser Vorschriften wurde das Toleranzpatent von vielen Jüdinnen und Juden abgelehnt. In den folgenden Jahrzehnten erhielten Jüdinnen und Juden einerseits Rechte (Synagoge, Gründung einer jüdischen Gemeinde in Wien). Andererseits gab es in der Gesellschaft weiterhin Judenfeindlichkeit. 1848 kam es zu Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden in Böhmen und Ungarn. Erst durch das Staatsgrundgesetz 1867 wurden Jüdinnen und Juden in der Habsburgermonarchie gleichberechtigte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Sie durften nun auch ihren Wohnort frei bestimmen. Viele zogen daraufhin nach Wien. Assimilation und Konversion Jüdinnen und Juden wurden von der Mehrheitsbevölkerung weiterhin als „anders“ angesehen. Sie reagierten darauf sehr unterschiedlich. In den östlichen und nördlichen, stärker ländlichen Gebieten hielten viele an orthodoxen Traditionen fest. In den Ballungszentren wie Wien passten sich hingegen viele an die nicht-jüdische Lebensweise an und integrierten sich in das neue Bürgertum. Auch der Gottesdienst wurde angepasst und nun auf Deutsch abgehalten. Einige Jüdinnen und Juden konvertierten zum Christentum. Dies änderte jedoch nichts daran, dass sie von der Mehrheitsbevölkerung ausgegrenzt und angefeindet wurden. Im 19. Jh. war eine feindselige Stimmung gegen Jüdinnen und Juden (Antisemitismus) auch in der Politik weit verbreitet. Jüdinnen und Juden wurden von vielen Menschen als minderwertig angesehen. Gleichzeitig wurde ihnen vorgeworfen, für gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu sein und das Weltgeschehen zu bestimmen. Die politischen Parteien konnten mit diesen Argumenten viele Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen. Zionismus Unter Jüdinnen und Juden entstand zu dieser Zeit die Idee, einen eigenen Staat zu gründen. Dieser sollte in der Region um Jerusalem entstehen, die als ursprüngliche Heimat von Jüdinnen und Juden angesehen wurde. Der wichtigste Vertreter der Bewegung des Zionismus war der Wiener Journalist Theodor Herzl. Wie im Nationalismus wurde ein eigener Staat für das eigene Volk gefordert. O Industrialisierung, S. 78 ÷ Am Judenplatz in Wien können die Überreste der Synagoge aus dem 15. Jh. besichtigt werden. ÷ Über jüdische Geschichte kannst du dich in Jüdischen Museen informieren, beispielsweise in Eisenstadt, Hohenems und Wien. P diskriminierend: benachteiligend ÷ Die jüdische Gemeinde in Wien umfasste 1860 rund 6.200 Personen; 1900 waren es ca. 147.000 Personen. Um 1900 machten Jüdinnen und Juden rund 4,5 Prozent der Bevölkerung von Österreich-Ungarn aus. P Assimilation: Angleichung, Anpassung P Konversion: Änderung des Glaubens ÷ Ende des 19. Jh. begannen Jüdinnen und Juden in die Region um Jerusalem auszuwandern und erste Siedlungen aufzubauen. Das führte zu Konflikten mit der dort lebenden arabischen Bevölkerung. 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Die Frage des Zusammenlebens zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung ist bis heute ungelöst. Der Begriff Zionismus wird heute teilweise stark negativ und antisemitisch gebraucht. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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