102 Migration Migration in Österreich-Ungarn Binnenmigration in Österreich-Ungarn 1910 lebten auf dem Gebiet von Österreich-Ungarn rund 51,4 Millionen Menschen. Davon waren etwa 52 % in der Landwirtschaft tätig, ca. 30 % waren Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Folgen der Industrialisierung waren auch in der Habsburgermonarchie spürbar. Ein Großteil der bäuerlichen Bevölkerung konnte sich eine Modernisierung der Gerätschaften nicht leisten. Verarmung, Verschuldung oder auch Binnenwanderung waren die Folgen. Um 1910 zog rund ein Fünftel der Bevölkerung an einen anderen Ort. Viele erhofften sich bessere Berufschancen und zogen in die Städte, beispielsweise nach Prag und Wien. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. war mehr als die Hälfte der Wienerinnen und Wiener nicht in dieser Stadt geboren. Man spricht vom „Schmelztiegel“ Wien. Diese Migration nach Wien ist bis heute im österreichischen Sprachgebrauch (z.B. bei Vor- bzw. Familiennamen, Straßen- oder Gebäudebezeichnungen oder Namen von Speisen wie Gulasch oder Palatschinken) merkbar. Satirisches Blatt zur Migration der Tschechen nach Wien. Karikatur aus der Zeitschrift „Hans Jörgel“, Vinzenz Katzler, Farblithographie, 1869 Auswanderung aus Österreich-Ungarn Ab 1867 war die Auswanderung offiziell erlaubt. Zunächst wanderten jedoch jährlich nur einige tausend Menschen aus Österreich-Ungarn aus. Um die Jahrhundertwende waren es bereits rund 100.000 Personen pro Jahr. 1907 erreichte die Zahl der Auswanderungen aus der Habsburgermonarchie mit über 350.000 einen Rekord. 80 % der Auswanderinnen und Auswanderer zwischen 1867 und 1910 emigrierten in die USA (ca. 3,5 Millionen). Der Großteil der Auswanderinnen und Auswanderer stammte aus dem landwirtschaftlichen Bereich. In den USA gab es um 1900 einen großen Bedarf an Arbeitskräften. Daher waren die Löhne in vielen Bereichen höher als in Österreich-Ungarn (z.B. in der Tabakindustrie). Zwischen 1908 und 1911 endete das große Wirtschaftswachstum in den USA und damit auch die starke Zuwanderung aus Österreich-Ungarn. O Industrialisierung, S. 70 ÷ Zwischen 1870 und 1918 kamen vor allem Tschechinnen und Tschechen nach Wien und arbeiteten in der Ziegelproduktion („Ziegelböhm“) oder als Dienstboten und Köche bzw. Köchinnen. Auch viele jüdische Personen aus dem Osten der Monarchie erhofften sich ein besseres Leben in Wien. Beide Gruppen wurden jedoch angefeindet. Einfache Schlafstätte beim Ofen, ev. Rekonstruktion, Foto, Wien, 1904 Auswanderinnen und Auswanderer auf überfülltem Deck, Foto, um 1900 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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