52 3.8 Das Jahr 1934 bis zum „Anschluss“ 1938 Der sozialdemokratische Aufstand Anfang 1934 erhöht Italien den Druck auf Dollfuß, alle Parteien in Österreich auszuschalten. Der mittlerweile zum Vizekanzler ernannte Wiener Heimwehrführer Emil Fey ging daraufhin verstärkt gegen die SDAP und ihre Verbände vor. Es kam zu Hausdurchsuchungen in sozialdemokratischen Einrichtungen und zur Verhaftung von Funktionären des verbotenen Schutzbundes. Am Morgen des 12. Februar 1934 sollte im sozialdemokratischen Parteiheim in Linz, im Hotel Schiff, eine Hausdurchsuchung durchgeführt werden, doch der Schutzbund wehrte sich gewaltsam dagegen. Der Widerstand in Linz sollte das Startsignal für einen bewaffneten Aufstand der Sozialdemokratie in ganz Österreich werden. Dieses Ziel wurde aber nie erreicht. Ein Streikaufruf in Wien wurde kaum befolgt und aufgrund der widersprüchlichen Ansichten der Parteiführung griff der Aufstand nur auf oberösterreichische und steirische Industriegebiete sowie die Außenbezirke von Wien über. Bis auf kurze Kämpfe (z. B. in Wörgl/Tirol) blieb es in den restlichen Bundesländern ruhig. Der 17-jährige Fritz Habeck schreibt am 13. Februar 1934 in sein Tagebuch Ich habe ein herrliches Nachtgefecht verschlafen. In der Nacht ist Artillerie [durch das Bundesheer] eingesetzt worden und wir hatten 2 Stunden Trommelfeuer. – Im Karl Marxhof sind einige M.G. Nester. In den blauen und roten Türmen – Aus vielen Fenstern und Balkonen schiessen sie mit Gewehren. Aus allen Holzböden und Waschküchen, Kindergarten sieht man Rauch kommen. Wir haben einen herrlichen Kriegsschauplatz. 7h morgens: Ich wache auf […]. Ziemliche Ruhe. Vereinzeltes M.G. Feuer. Leute auf der Straße. Im Hof Heimwehr. Allgemeine Angst der Bevölkerung. Wir essen. Sind in ziemlicher Unkenntnis der allgemeinen Lage. 8h morgens: […] Die Haustore sind gesperrt, die Kellerschlüssel liegen bereit im Falle einer Kanonade. Mutter geht hinunter einkaufen. Ruhe. 2 tote Heimwehrmänner liegen vor der 14er Stiege. Alles ist mit Patronenhülsen und -verpackungen übersät. Unsere großen Tore tragen hunderte Einschüsse. 9h morgens: Wir haben mit dem Fernstecher ganz genau die kleinen Feldkanonen im Bild, die auf uns herunterzielen. […] M1: Habeck: Tagebuch 1934. ÖNB, Sign.: ÖLA 80/97. Der Aufstand der Sozialdemokraten wurde durch Soldaten und Artillerie des Bundesheeres und der Heimwehrverbände in wenigen Tagen gewaltsam niedergeschlagen. Die Folgen waren insgesamt ungefähr 360 Tote und eine unbestimmte Anzahl an Verletzten. Neun Anführer wurden standrechtlich hingerichtet. Die SDAP wurde verboten, um die 10 000 Menschen wurden verhaftet oder flüchteten ins Ausland. Somit war die von der Regierung Dollfuß geplante politische Gleichschaltung in Österreich erreicht. Heute erinnern Denkmäler in ganz Österreich an den Niedergang der Demokratie im Jahr 1934. Die neue österreichische Verfassung Nach der Ausschaltung der Legislative 1933 und mit Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 erließ die Regierung Dollfuß am 1. Mai 1934 eine neue Verfassung. Verfassung des Bundesstaates Österreich vom 24. April/1. Mai 1934 Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung. M2: BGBL. 1934 I. Nr. 239; RIS In weiterer Folge wurde die politische Gleichschaltung mit dem Ausbau der Vaterländischen Front als Einheitspartei nach dem Vorbild der faschistischen Partei in Italien vorangetrieben. Putschversuch der NSDAP Den geplatzten Verhandlungen von Dollfuß mit Vertretern von NS-Deutschland in den Jahren 1933/34 folgte eine nationalsozialistische Terrorwelle, die schließlich in einem Putschversuch mündete. Romanpassage: Ein junger NS-Sympathisant erzählt von illegalen Aktionen 1933/34 Marschierte der Heimatschutz auf, dann mischten sich Mitglieder der „Hitler-Gruppe“ unter die Zuschauenden und ließen gestanzte Hakenkreuze fallen. So mancher Zuschauer hob verstohlen einige auf, andere trampelten absichtlich darüber. Als es in der Karwoche schneite, malten sie am Rande der Straßen Hakenkreuze aus Asche auf den Schnee. Egal, welche Gruppe – alle fühlten sich wichtig, wertvoll. Die Gefahr, erwischt zu werden, machte die Aktionen nur noch aufregender! M3: Hauser: Wenn Geschichte mit Körpern geschrieben wird, 2023, S. 120. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MjU2NDQ5MQ==