Alles Geschichte! 7, Schulbuch [Teildruck]

51 Die Ausschaltung des Parlaments Am 4. März 1933 kam es bei einer Sitzung des Nationalrats über den kurz zuvor stattgefundenen Eisenbahner-Streik zu einer Panne bei der Abstimmung über einen Antrag. Die Abstimmungen erfolgten grundsätzlich mit namentlich gekennzeichneten Stimmzetteln. Daher erkannte man, dass diesmal von einem Abgeordneten zwei Stimmzettel und von seinem Sitznachbarn kein Stimmzettel abgeben worden war. Parlamentspräsident Karl Renner setzte die Stimmabgabe mit 81 zu 80 Stimmen fest, womit der für die Eisenbahner vorteilhafte Antrag angenommen worden wäre. Seine Entscheidung wurde heftig kritisiert. Er trat daraufhin von seiner Funktion zurück, um als einfacher Abgeordneter an einer Abstimmungswiederholung teilnehmen zu können. In weiterer Folge traten aber auch der zweite und dritte Nationalratspräsident zurück, wodurch die Sitzung nicht formal geschlossen werden konnte. Die Abgeordneten verließen ohne diesen formalen Akt den Sitzungssaal. M4: Unbekannt: Titel: Bruader, den bringst nimer weg! „Von mir aus können alle weggehen! Ich bleibe auf jeden Fall. Ich bin nämlich ein Freund der Demokratie!“ Karikatur, 10.3.1933 Der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nutzte diese Situation und übernahm mit Berufung auf das noch geltende Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917 und mit Billigung des Bundespräsidenten Wilhelm Miklas per Notverordnungen die Gesetzgebung. Eine Wiederaufnahme der Sitzung des Nationalrats zur Neuwahl des Präsidiums wurde auf Anordnung des Bundeskanzlers von der Polizei verhindert. Gleichschaltung der Politik Schritt für Schritt kam es zu Einschränkungen der Demokratie in Österreich. Bereits am 7. März wurde eine behördliche Vorlagepflicht für Zeitungen vor deren Erscheinen eingeführt (Vorzensur), um eine Veröffentlichung verhindern zu können. Ende März wurde der Republikanische Schutzbund verboten. Am 1. Mai 1933 wurden Aufmärsche und Versammlungen verboten und am 10. Mai 1933 alle Neuwahlen ausgesetzt. Ende Mai 1933 erfolgte die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes, dessen Aufgabe die Wahrung und Einhaltung der Verfassung ist, und das Verbot der Kommunistischen Partei Österreichs. Im Juni, nach einem blutigen Terroranschlag auf Männer der christlich-deutschen Turnerschaft, folgte das Verbot der NSDAP in Österreich. Mitglieder beider Parteien blieben illegal weiter politisch tätig. Im September wurde das Anhaltelager Wöllersdorf errichtet, um politische Gegner/innen auch ohne Verurteilung zu internieren. Im November 1933 verhängte die Regierung das Standrecht und führte damit die Todesstrafe bei einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wie Mord und Brandlegung ein. Die Vaterländische Front Im Mai 1933 wurde von Dollfuss erstmals die Vaterländische Front öffentlich propagiert. Sie sollte eine Massenbewegung nach dem Vorbild der NSDAP in Deutschland und der Faschisten in Italien sein. Nach dieser Idee sollte die Demokratie mit den unterschiedlichen politischen Zielsetzungen zwischen den Gesellschaftsschichten durch einen in Berufsstände gegliederten autoritären Staat ersetzt werden. Zur Abgrenzung Österreichs gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland versuchte Dollfuß sich die Unterstützung des italienischen faschistischen Diktators Mussolini zu sichern. Jetzt bist du dran: 1. Arbeite die unterschiedlichen Sichtweisen zum Vorfall in Schattendorf (M1 und M2) heraus. 2. Diskutiere die Notwendigkeit einer Medienvielfalt in einer Demokratie. 3. Die Wiener Polizei wendet heute bei Demonstrationen die sogenannte 3-D-Philosophie (Dialog, Deeskalation, Durchsetzen) an. Stellt in Gruppen Überlegungen an, wie ein Einsatz von berittener Polizei (M3) in dieses Konzept passen würde, und vergleicht eure Ergebnisse. 4. Überprüfe die Aussage der Karikatur M4 in Hinblick auf die geltende Vorzensur. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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