50 3.7 Radikalisierung des politischen Lebens – von Schattendorf bis zum Jahr 1934 Der Brand des Justizpalastes, 15. Juli 1927 Der Prozess gegen die angeklagten Schützen fand im Juli im Wiener Justizpalast statt. Die Anklage lautete auf „Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeiten durch boshafte Handlungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen“. Die Angeklagten bestritten die Abgabe der Schüsse nicht, plädierten aber auf Notwehr. Am 14. Juli 1927 sprachen die Laienrichter des Geschworenengerichts die Angeklagten, wenn auch recht knapp, frei. Aus Protest gegen das als ungerecht empfundene Urteil versammelte sich die Arbeiterschaft am nächsten Morgen ohne offizielle Organisation der Partei und zog zum Parlament. Berittene Polizeieinheiten versuchten die Menschen durch Einsatz von Gewalt zu vertreiben, wodurch diese zum benachbarten Justizpalast gelangten. Weitere Attacken der Polizei verschärften die Situation. Die immer größer werdende Menge antwortete mit Steinwürfen und griff zunehmend die Polizei an. M3: Unbekannt: Demonstrierende und ein berittener Sicherheitswachebeamter auf einem sich aufbäumenden Pferd in der Auerspergstraße, Ecke Schmerlingplatz. Fotografie, 15. Juli 1927 Gegen Mittag wurde eine Polizeistation gestürmt und in Brand gesetzt. Weiters drangen Demonstrierende in den Justizpalast ein und warfen Akten aus dem Fenster. Kurze Zeit später wurde die Feuerwehr wegen eines Brandes im Gebäude verständigt. Der sozialdemokratische Bürgermeister Karl Seitz und Ordner des Schutzbundes versuchten die Menge dazu zu bewegen, den Weg für die Feuerwehr frei zu machen. Als ihnen das nicht gelang, befahl der Polizeipräsident von Wien, das Feuer auf die Demonstrierenden zu eröffnen. Das brutale und unorganisierte Vorgehen der Polizei forderte an diesem Tag 89 Menschenleben und hunderte Verletzte. Der Justizpalast brannte komplett aus. Erst in den nächsten Tagen konnte die SDAP wieder die Kontrolle über die Arbeiterschaft erlangen. Schattendorf, 30. Jänner 1927 Im jüngsten Bundesland der Republik Österreich, dem Burgenland, stimmten die politischen Lager zunächst überein, auf Wehrverbände zu verzichten. Doch als die Frontkämpfervereinigung 1925/26 Ortsgruppen gründete, folgten der Schutzbund und etwas später die Heimwehr. Am 30. Jänner 1927 wurde im burgenländischen Schattendorf eine Veranstaltung der Frontkämpfer behördlich genehmigt. Bis dahin wurden in Schattendorf politische Veranstaltungen nur abwechselnd durchgeführt. An diesem Tag organisierte die SDAP-Ortsgruppe aber eine unangemeldete Gegenversammlung. Schließlich wollte man unter Einbeziehung umliegender Schutzbundgruppen den Einmarsch der per Bahn anreisenden Frontkämpfer in das Dorf verhindern. Im Versammlungslokal der Frontkämpfer, einem Gasthaus, kam es zu einem ersten verbalen Konflikt zwischen ortsfremden Schutzbündlern und Frontkämpfern. Dieser wurde beendet, indem ein Sohn des Gastwirts zwei Schüsse abgab, um die Gendarmerie zu alarmieren. Die Schutzbündler konnten den Weitermarsch der Frontkämpfer am Bahnhof nach Handgreiflichkeiten zwischen den Gruppen und durch Vermittlung des eintreffenden Gendarmen verhindern und kehrten geschlossen ins Dorf zurück. Als sie schon fast zur Gänze am Gasthaus vorbeigezogen waren, eskalierte die Situation. Aus dem Gasthaus wurden Schüsse auf die Menge abgegeben, wobei ein Schutzbündler und ein sechsjähriger Junge aus Schattendorf getötet und sechs weitere Menschen verletzt wurden. Schlagzeile aus der sozialdemokratischen Arbeiterzeitung vom 31. Jänner 1927 Von Frontkämpfern ermordet Ein Frontkämpferüberfall auf burgenländische Arbeiter – Ein Kind und ein Invalider erschossen – Vier Schutzbündler durch Gewehrschüsse verwundet – Ungeheure Erregung der Arbeit in Wien, im Wiener-Neustädter Gebiet und im Burgenland M1: Aus: Arbeiterzeitung, 31.1.1927. Schlagzeile aus der den Christlichsozialen nahestehenden Reichspost vom 31. Jänner 1927 Ein blutiger Sonntag im Burgenland! Schutzbündlerüberfälle auf Frontkämpfer. – Eine Schießerei. – Zwei Todesopfer und mehrere Verletzte. – Ein Lügenüberfall. M2: Aus: Reichspost, 31.1.1927. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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