16 2.3 Vom russischen Zarenreich zur Sowjetunion Das russische Zarenreich Anfang des 20. Jh. Die Industrialisierung und die schlechte wirtschaftliche Lage im Agrarbereich führten dazu, dass viele Menschen aus dem Bauernstand in die Städte des Reiches zogen. Das Elend der Arbeiter/innen war aber durch Ausbeutung, schlechte Wohn- und Lebensverhältnisse sowie fehlende gesetzliche Unterstützung groß. Die Folge waren Massenstreiks und Proteste. Am sogenannten Blutsonntag 1905 eskalierte die Situation, nachdem Wachmannschaften auf Demonstrierende vor dem Winterpalast in Petrograd (St. Petersburg) schossen. Im selben Jahr erlaubte der Zar als Zugeständnis die Gründung der Duma (= Parlament), Konservative und antidemokratische, zarentreue Kräfte blieben jedoch an der Macht. Durch die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung verzeichneten die sozialdemokratischen Menschewiken und die radikal-sozialistischen Bolschewiken großen Zulauf. Stalin – Werdegang des späteren Diktators Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili, der sich ab 1912 Stalin (dt. „der Stählerne“) nannte, wurde 1897 zum Berufsrevolutionär mit dem Ziel, das russische Zarentum zu stürzen. Stalin beteiligte sich an der Organisation von Streiks und Demonstrationen von Eisenbahn- und Ölarbeitern, an der Verbreitung von Propaganda sowie an Schutzgeld-Erpressungen und Raubüberfällen und wurde mehrmals verhaftet und verbannt. Schließlich schloss er sich dem radikalen Flügel der Berufsrevolutionäre, den „Bolschewiki“ (= „Mehrheitler“), unter Wladimir Iljitsch Uljanow an, der sich Lenin nannte. Lenin – Chefideologe und Führerfigur Lenin wurde aufgrund seiner politischen Aktivitäten 1897 nach Sibirien verbannt und lebte danach bis 1917 vorwiegend im Exil. Als Mitglied der Sozialistischen Partei erachtete er diese als zu wenig radikal, weshalb er 1912 die Kommunistische Partei gründete. Nach Lenins Idee des Marxismus-Leninismus ist das revolutionäre Proletariat, das sich selbst befreit hat, nicht fähig, für sein eigenes Wohl und das des Staates zu sorgen. Als Proletariat wird die besitzlose und daher abhängige Arbeiterklasse bezeichnet. Daher sollte eine Einheitspartei, bestehend aus geschulten Parteifunktionären, an der Spitze des Staates stehen und die Entscheidungen für die Bevölkerung treffen. Februarrevolution 1917 Die Not der Bevölkerung aufgrund des Ersten Weltkrieges war groß, viele Soldaten waren gefallen oder verletzt, an der Front und im Hinterland herrschten Nahrungsmittelknappheit und Hunger. Im Februar 1917 kam es in der russischen Hauptstadt Petrograd zu Streiks und Demonstrationen. Auch die bürgerlich-demokratischen Kräfte in der Duma stellten sich gegen den Zaren, der schließlich abdanken musste. Die Arbeiter/innen wählten Arbeiter- und Soldatenräte (= Sowjets), die ihre Forderungen vertreten sollten. M1: Boris Kostodiev: Der Bolschewik. Gemälde, 1920 Oktoberrevolution 1917 Lenin nutzte die Uneinigkeit zwischen Duma und Petrograder Sowjets und kehrte aus dem Exil nach Russland zurück. Als Parteiführer der Bolschewiki drängte er darauf, die Regierung gewaltsam abzusetzen. Im Oktober 1917 stürmten bolschewikische Arbeitermilizen den Winterpalast, den Sitz der Regierung. Der bolschewikische Rat der Volkskommissare unter der Führung Lenins rief die antidemokratische „Räterepublik“ aus, die eine Art Pyramidensystem war, in dem die untergeordneten Räte nur die direkt übergeordneten wählten. Außerdem rief er die „Diktatur des Proletariats“ aus, die allerdings keine Klassen-, sondern eine Parteidiktatur war. In der Folge leitete die Regierung die Verstaatlichung der Industrie, des Handels und der Banken ein. Kirchlicher Boden und Großgrundbesitz wurden enteignet und den Kleinbauern und -bäuerinnen sowie Lohnabhängigen übergeben. Ihre Produkte durfte die Bauernschaft nicht mehr verkaufen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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