95 Erste regelmäßige Demonstrationen und Streiks Bereits vor dem 19. Jh. gab es einzelne Streiks und Demonstrationen, doch erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurden sie langsam als regelmäßige Protestformen genutzt. Demonstrationen spielten in den Revolutionsjahren 1848/49 eine wichtige Rolle in der Verbreitung und Agitation der Anliegen (s. S. 112). Bedeutende Anliegen, für die in Österreich in den darauffolgenden Jahrzehnten auf die Straße gegangen wurde, waren die Einführung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Bekämpfung der Teuerung. Dabei zeigte sich bereits das zum Teil enge Zusammenwirken von Streiks und Demonstrationen. So gab es zahlreiche lokale Streiks für bessere Arbeitsbedingungen, in Wien etwa durch die Ziegelarbeiter/innen 1895. Die Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts 1907 erfolgte unter anderem aufgrund der Androhung eines Generalstreiks. Aufruf gegen das Streikbrechen (1903) Hochmütige Fabrikanten […] schicken ihre Agenten […], um böhmische Arbeiter und Arbeiterinnen als Streikbrecher zu verwenden. Laßt euch nicht […] anwerben! Es ist […] kein Mangel an Arbeitskräften. 8000 Arbeiter und Arbeiterinnen, stehen im Kampf gegen Unterdrückung. Ihr sollt den nimmersatten Ausbeutern als Werkzeug dienen, und es soll mit eurer Hilfe der Kampf um gerechte Ansprüche gebrochen werden. Werdet nicht Verräter des Arbeitskampfes! M2: Lassotta/Röver (Hg.): Streik, 1993, S. 58–59, zit. nach: Henke-Bockschatz: Industrialisierung, 2003, S. 213. Gewalt auf Demonstrationen und bei Streiks Während Streiks und Demonstrationen heute in Österreich überwiegend friedlich ablaufen, wurden sie im 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. von beiden Seiten nicht selten auch mit Gewalt geführt und konnten zu Straßenschlachten und gewalttätigen Kämpfen ausarten. Oft wurden militärische Verbände in Streikregionen entsandt, um Streiks zu verhindern oder gegen die Streikenden vorzugehen. Streiks und Demonstrationen im 21. Jh. Die Digitalisierung hat die Form und die Bedeutung von Demonstrationen und Streiks kaum verändert. Soziale Medien können aber eine nützliche Ergänzung sein, um Demonstrationen zu organisieren und zu bewerben und um die inhaltlichen Forderungen genauer auszuführen und zu verbreiten. Wenn sich der politische Protest jedoch auf einen Klick, z. B. einen Like, beschränkt, spricht man von einem „Klicktivismus“. Mit diesem gelingt es selten, etwas grundlegend zu verändern. Schulstreiks Im Unterschied zu Streiks von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entsteht den Schulen durch das Fernbleiben der Schüler/innen vom Unterricht kein finanzieller Schaden. Insofern ist diese Protestform nicht ganz so stark. Aber ein Schulstreik bekommt meist eine höhere Aufmerksamkeit als eine Demonstration außerhalb des Unterrichts. Während man heute bei Schulstreiks vor allem an Fridays For Future mit ihrer Forderung nach Klimagerechtigkeit denkt, standen davor meist bildungspolitische Anliegen im Zentrum. Kommentar zum Streik für eine Gehaltserhöhung für das Bodenpersonal bei Lufthansa (2022) Streik bei Ver.di: Am Mittwoch stehen die Lufthansa-Flugzeuge weitgehend still. Als Chef der Gewerkschaft Ver.di vertritt Frank Werneke knapp zwei Millionen Beschäftigte. Darunter Busfahrer, Pflegerinnen, Feuerwehrleute und Verkäuferinnen. Gerade sie haben für Urlaub hart gearbeitet und gespart. Doch das ist dem Ober-Gewerkschafter egal: Werneke lässt eiskalt gegen das Ferienglück der eigenen Leute streiken. Wie schäbig! M3: Schäfer: Ein Streik gegen die eigenen Leute!, in: Bild, 27.7.2022. Online auf: www.bild.de (9.8.2022). Sozialpartnerschaft in Österreich In Österreich arbeiten die Vertreter/innen der Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen im Rahmen der sogenannten Sozialpartnerschaft untereinander und mit der Regierung eng zusammen. Das gute Funktionieren dieses Systems ist der Grund, dass es in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern selten zu Streiks kommt. Jetzt bist du dran: 1. Erkläre die Bildunterschrift von M1 und gehe dabei auf Unterschiede und Parallelen zwischen einem Streik und einer Demonstration ein. 2. Der Aufruf (M2) richtete sich an böhmische Arbeiter und Arbeiterinnen. Rekonstruiere mit Hilfe der Quelle, mit welcher Maßnahme die Fabrikanten einem Streik in Sachsen 1903 entgegenwirken wollten. 3. Nimm im Namen des Vorsitzende der deutschen Gewerkschaft Ver.di Frank Werneke Stellung zum Kommentar von Jan Schäfer in der deutschen Bild-Zeitung (M3). 4. Wähle ein Thema, das dir ein Anliegen ist, und gestalte ein Plakat für eine Demonstration dazu. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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