26 2.7 Kirchenkritik und Entwicklungen außerhalb des Heiligen Römischen Reiches Schon im Mittelalter gab es immer wieder Kritik daran, dass Teile der katholischen Kirche weit mehr an politischer Macht und wirtschaftlichem Reichtum interessiert waren als an religiösen Fragen und seelsorgerischen Aufgaben. Innerkirchlich prangerte etwa Franz von Assisi um 1200 Missstände in der katholischen Kirche an. Er wurde dadurch zum Vorbild für spätere kirchenkritische Strömungen. Außerhalb der Kirche wurde z.B. an europäischen Universitäten Kritik an den Fehlentwicklungen der Kirche geübt. Mehrere Theologen setzten sich mit Fragen auseinander, die auch Luther behandelte, und kamen zu ähnlich kirchenkritischen Einschätzungen wie er. John Wyclif (um 1330–1384) Wyclif, Professor in Oxford (England), übte schon im 14. Jh. Kritik an der Position des Papstes. Er sah in Wanderpredigern und Bettelorden wichtige Wegbereiter für eine Erneuerung der Kirche. Die Bibel stellte für ihn, wie später für Luther, die Grundlage des Glaubens dar. Wyclif verurteilte auch bereits Ablasshandel und Zölibat. Jan Hus (1369–1415) Der böhmische Theologe Jan Hus war ein Anhänger Wyclifs. Er prangerte vor allem die Korruption innerhalb der Kirche an und setzte sich für Reformen und für eine arme, nicht nach Vermögen strebende Kirche ein. Seine Lehren konnten sich allerdings nicht so rasch verbreiten wie später jene von Luther, weil zu Hus’ Zeit der Buchdruck noch nicht erfunden war. Hus forderte eine Gleichstellung der deutschen und tschechischen Sprache, er lehrte und predigte auf Tschechisch. 1415 wurde er als Ketzer verbrannt. Sein Tod löste die Hussitenkriege in Böhmen aus. Ulrich Zwingli (1484–1531) Der Schweizer Pfarrer Ulrich Zwingli fand in Luthers Schriften die eigene Meinung zu den Missständen in der Kirche bestätigt und trat ab 1522 in der Schweiz offen gegen diese Misstände auf. Er sympathisierte mit Luthers Lehren und seine Reformvorschläge waren stark vom Humanismus geprägt. Zwinglis Bewegung setzte sich im Raum Basel, St. Gallen, Konstanz und Straßburg durch. Im Jahr 1529 versuchten Luther und Zwingli eine Zusammenführung ihrer Lehren, was aber nicht gelang. 1531 fiel Zwingli als Feldprediger in einer Schlacht zwischen katholischen und protestantischen Kantonen. Johann Calvin (1509–1564) Calvin stammte aus Nordfrankreich und war Sohn eines Kirchenbeamten. Er studierte Rechtswissenschaft und Theologie und beschäftigte sich schon früh mit den Schriften Luthers. Auch die Reformbestrebungen in anderen Ländern beobachtete er genau. 1533 schloss er sich der Reformation an und musste Frankreich aus diesem Grund verlassen. Im Exil in Genf prägte er eine eigene reformatorische Strömung, die durch Leistungsorientierung und hohe Anforderungen an die Gläubigen gekennzeichnet war. Ein zentraler Punkt in Calvins Lehre war die Gehorsamkeitspflicht gegenüber Gott. Wesentlich war auch seine Prädestinationslehre, die besagt, dass es dem Menschen vorbestimmt sei, ob er von Gott erwählt oder verdammt ist. Wer von Gott erwählt sei, verstehe seine Lehre und werde auch nach dem Tod in Seligkeit leben. Calvins Anhänger/innen strebten daher nach einem sittenstrengen und wirtschaftlich erfolgreichen Leben, das beweisen sollte, von Gott auserwählt zu sein. Die Hugenotten Die Calvinisten in Frankreich wurden Hugenotten genannt. Lange Zeit wurden sie vom katholischen Staat bekämpft und unterdrückt. Mit dem Edikt von Nantes von 1598 wurde ihnen – mit einigen Einschränkungen – die Ausübung ihrer Religion erlaubt. Doch Frankreich blieb überwiegend katholisch und 100 Jahre später wurde das Edikt aufgehoben. Die Hugenotten wurden aus Frankreich vertrieben und flüchteten, unter anderem nach Amerika. Englische Calvinisten wurden unter dem Begriff Puritaner bekannt. Sie fanden vermehrt in den Neuenglandstaaten (s. S. 73 und 98) eine neue Heimat. Calvinismus Aus dem Leitbild des fleißigen, sparsamen Arbeiters, dem der Gewinn und Erfolg das Symbol seiner Erwählung ist, entstand im 16. und 17. Jahrhundert in Westeuropa eine neue kapitalistische Wirtschaftsethik. Der Calvinismus förderte die Geldwirtschaft im Zeitalter des Frühkapitalismus, da ihm die Abneigung gegen das Zinsnehmen und den Kapitalerwerb völlig fremd war. So wurde er Wegbereiter einer neuen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Frankreichs, Hollands, Schottlands und Nordamerikas. M1: Hasenmayer/Göhring: Mittelalter, 1975, S. 153. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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