161 Clara Steinitz im Vorwort zum „Ring des Nibelungen“ Um die Herrschaft der klassischen Mythologieen ist’s geschehn und im Jubel über das geeinte Deutschland, über diesen endlich in Erfüllung gegangenen Völkertraum schlägt das junge Reich die holden Götter Griechenlands und Latinums in die Flucht, um den markigen, aus Edda und Skalda in die altdeutsche Literatur getragenen Gestalten in der auferstandenen Kaiserpracht Heimathsrecht zu verschaffen. Die eingeborene Götterwelt vertreibt die fremde eingebürgerte, […]. M2: Doepler/Steinitz: Der Ring des Nibelungen, 1889, o. S. Auch heute noch vermitteln Geschichtsdarstellungen wie Filme, populärwissenschaftliche Magazine usw. mitunter unreflektiert das im 19. Jh. entstandene Germanenbild. Historiker Martin Langebach zur Instrumentalisierung der Germanen Die Germanen sind ein geschichtspolitisches Paradebeispiel für die Indienstnahme der Vergangenheit für gegenwärtige oder zukünftige politische Ziele, ohne dass es vielen überhaupt bewusst zu sein scheint. Sie eignen sich so wunderbar als Projektionsfläche [= Person oder Objekt, auf die/das man etwas übertragen kann, z.B. eigene Emotionen], weil wir noch immer so wenig über sie wissen – und weil das Wenige seit dem Humanismus aus nationalistischer und völkischer Perspektive ausgeschmückt und um Fantasievorstellungen angereichert wurde. M3: Langebach: Der Germanenmythos, 2020, S. 12. Identifikation mit den Kelten Im Hochtal über Hallstatt wurde 1846 ein Gräberfeld gefunden, das namensgebend für die ältere Eisenzeit wurde. Während die ältere Hallstattzeit von 1200 bis 800 v. Chr. zur bronzezeitlichen Urnenfelderkultur gezählt wird, wurde die jüngere Hallstattzeit von etwa 800 bis 450 v. Chr. mit einem Kulturraum von Frankreich bis zur Balkanhalbinsel namensgebend für die ältere Eisenzeit. Die anschließende Latènezeit bis etwa zur Zeitenwende verdankt ihre Bezeichnung dem Fundort La Tène in der Schweiz. Beide Bezeichnungen wurden in den 1870er-Jahren eingeführt und sind noch heute als Zeiteinteilung gültig. Nach dem keltischen Stamm der Helvetier, der zur Latènekultur zählt, wurde im 17. Jh. die allegorische Frauenfigur der Schweiz benannt. Auch heute findet sich noch der Aufdruck „Helvetia“ auf den Schweizer Briefmarken. Obwohl die Ausdehnung der Hallstattkultur damals noch nicht genau abgeschätzt werden konnte, kam es in Österreich zu keiner Instrumentalisierung dieses Fundortes. Österreich wurde zu den von germanischen Stämmen der Bayern und Alemannen besiedelten Gebieten gerechnet, was auch die historische deutschnationale Einstellung in Österreich beeinflusste. Pfahlbauten als Inspiration für den Zeitgeist des 19. Jh. 1853/54 wurden im Uferbereich des Zürichsees prähistorische Siedlungsfunde entdeckt, die vom Forscher Ferdinand Keller als Pfahlbauten bezeichnet wurden. Die Funde lösten in ganz Europa großes Interesse an dieser Kultur aus. Im Zuge der Romantik entstand das idyllisch verklärte Bild einer „wilden“ Bevölkerung, von Menschen, die in Familien und Sippen harmonisch zusammenlebten und umgeben von romantischer Wildnis der Jagd und dem Fischfang nachgingen. Dieses Bild diente als Motiv für Kunstwerke und Erzählungen. Die bis zu 7000 Jahre alten alpinen prähistorischen Pfahlbausiedlungen haben sich an See- und Flussufern unter Wasser oder in Mooren erhalten. Große Bedeutung haben sie aufgrund des konservierten organischen Materials. 2011 wurden 111 der etwa 1000 bekannten Fundstellen aus der Schweiz, aus Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich und Slowenien in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. M4: Albert Anker: Die Pfahlbauerin. Gemälde, 1873 Jetzt bist du dran: 1. Analysiere die Darstellung auf der Postkarte M1 im Kontext der Gründung des deutschen Kaiserreichs. 2. Ermittle aus der Textquelle M2 den Grund für die Instrumentalisierung des Germanenbildes. 3. Diskutiere anhand von M3, welche Vor- und Nachteile die Instrumentalisierung prähistorischer Kulturen mit sich bringen kann. 4. Beschreibe M4 und diskutiere anhand des Bildes und des Kapiteltextes, welche Faktoren zur Popularität der Pfahlbauromantik führten und welches Bild damit verstärkt wurde. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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