Alles Geschichte! 6, Schulbuch

158 KOMPETENZTRAINING 4.3 Geschichte als Konstruktion der Vergangenheit wahrnehmen: Das Bild des „hässlichen Deutschen“ Geschichte als Konstruktion der Vergangenheit wahrnehmen. Darstellungen der Vergangenheit sind grundsätzlich immer Konstruktionen, sie können Vergangenheit nie vollständig und umfassend rekonstruieren. Dasselbe gilt für historische Quellen, denn auch diese wurden aus einer bestimmten Perspektive und mit einer gewissen Intention erstellt und beziehen immer nur einen Teil der Vergangenheit ein (s. Alles Geschichte! 5). Die Geschichtswissenschaft muss trotzdem versuchen, der Vergangenheit objektiv möglichst nahezukommen. Zu bedenken ist außerdem, dass auch Historiker/innen gewisse Perspektiven haben, aus welchen sie die Vergangenheit betrachten. Bestimmte Geschichtsbilder der Gesellschaft sind durch fiktionale Produkte wie Romane oder Filme geprägt, die nur teilweise oder ansatzweise auf Fakten beruhen. Andere wurden durch Propaganda beeinflusst und in bestimmte Zusammenhänge gebracht. Ein für Österreich typisches Beispiel für Ersteres ist die Rezeption von Kaiserin Sisi durch Musicals und Filme, in denen bestimmte Aspekte betont oder ausgelassen werden (s. S. 164). Beispiele für Zweiteres hast du bereits im Kapitel zur Propaganda im Ersten Weltkrieg kennengelernt (s. S. 150). Geschichte als Konstruktion der Vergangenheit wahrnehmen – so gehst du vor: − Benenne die Darstellungsformen (z.B. Roman, Bild, Dokumentarfilm, Videospiel). − Betrachte zunächst die Darstellungen und die Quellen, die zum betrachteten Themengebiet vorhanden sind. Diese knüpfen an dein Vorwissen an (hier: die Kapitel zum Ersten Weltkrieg, S. 144–153, und zu den Hunnen in Alles Geschichte!5, S. 90–93). − Untersuche die Quellen und Darstellungen dahingehend, wie die Personen oder Ereignisse gezeigt bzw. beschrieben werden. Bei schriftlichen Darstellungen gilt es auch, die Argumentation zu untersuchen. − Auf deinem Wissen und deiner Analyse basierend lassen sich mögliche Intentionen, d. h. Absichten, und Deutungen herausarbeiten, die es dir ermöglichen, die Darstellungen zu dekonstruieren. den Staaten der gegnerischen Kriegsparteien berichtete über grausame Verbrechen, die Deutsche während der Besatzungszeit begingen. Dabei verwendeten sie zu propagandistischen Zwecken auch Übertreibungen. Im Kaiserreich Deutschland wiederum wurde versucht, die Vorwürfe zu korrigieren bzw. herunterzuspielen oder das Vorgehen zu rechtfertigen. Auch Wissenschafter an den Hochschulen und Kulturschaffende beteiligten sich daran. Ziel war es, ein anderes „Bild der Deutschen“ zu konstruieren. Dieses sollte nicht nur bei Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, sondern auch in der Nachwelt wirken. Der Autor Ludwig Fulder verfasste das sogenannte „Manifest der 93“, einen Aufruf an die Kulturwelt, der von 92 weiteren Wissenschaftlern und Künstlern unterzeichnet wurde: Wegen der Missachtung der belgischen Neutralität und der Brutalität, mit der gegen die belgischen Verteidiger/ innen und die Zivilbevölkerung vorgegangen wurde, bezeichnete die gegnerische Propaganda die Deutschen als Barbaren – als „hässliche Deutsche“. Dabei wurde auf die Hunnen zurückgegriffen, deren Expansion zur Zeit der „Völkerwanderung“ im historischen Gedächtnis mit Barbarei und Verwüstung in Verbindung gebracht wurde. Gemäß den Vorstellungen der Rassentheorien des 19. Jh. waren die Europäer/innen „zivilisierte“ Menschen. Diese Zuschreibung wurde den Deutschen nun abgesprochen. Zahlreiche Kriegsverbrechen wurden ihnen zur Last gelegt. Neben der Versenkung des Passagierschiffes RMS Lusitania 1915 wurde vor allem die Zerstörung der Universitätsstadt Löwen (s. S. 149), einschließlich der Universitätsbibliothek, als Akt der Barbarei gewertet. Die Presse in Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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