156 4.2 Intentionen des Gedenkens: Die Belagerung Wiens 1683 durch das osmanische Heer Der Kontakt zwischen dem Osmanischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich war jahrhundertelang von Konflikten geprägt. Im Zuge dieser Konflikte wurde Wien in den Jahren 1529 und 1683 vom osmanischen Heer belagert. Während die Belagerung Wiens 1529 kaum in die Gedenkkultur einging, entwickelten sich aus der zweiten Belagerung Wiens verschiedene Formen der Erinnerung. Diese werden von bestimmten Intentionen, d.h. Absichten, begleitet. Die Belagerung Wiens 1683 Nach dem Ablauf eines Friedensvertrags, der für 20 Jahre geschlossen worden war, erklärte der osmanische Sultan dem römisch-deutschen Kaiser im Februar 1683 den Krieg. Unter Vermittlung des Papstes schlossen der polnischlitauische König Jan III. Sobieski und Kaiser Leopold I. eine militärische Allianz gegen die Osmanen. Anfang Juli erreichte das osmanische Heer die Grenzen von Niederösterreich, woraufhin der Kaiser und etwa ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger Wien verließen. Die erste Welle der am 14. Juli 1683 beginnenden Belagerung Wiens setzte die Stadt zunächst Artilleriebeschuss und Sturmangriffen aus. Bis zum 20. Juli 1683 hatten die Osmanen erste unterirdische Stollen unter die Stadtmauer vorangetrieben, in denen Fässer mit Schießpulver gezündet wurden. Diese Minensprengungen schwächten die Befestigungsanlagen. Auch die niederösterreichische Bevölkerung südlich der Donau bis Ybbs war der Zerstörung, Plünderung und Gefangennahme durch osmanische Truppen ausgesetzt. Wien blieb bis auf eine Nachschubroute über die Donau von der Umwelt weitgehend abgeschnitten. Im August brach in Wien aufgrund mangelnder Hygiene eine Ruhrepidemie aus. Anfang September sprengten die Osmanen eine breite Lücke in die Stadtbefestigung. Unterdessen setzte die Mobilisierung des Entsatzheeres ein, also von Truppen, die die eingeschlossene Stadt befreien sollten. Am 12. September 1683 startete das Heer seinen Angriff. Wie vertraglich festgesetzt worden war, führte der polnisch-litauische König Jan III. Sobieski den Oberbefehl über die vereinigten Truppen. Das osmanische Heer musste sich nach Kämpfen zurückziehen. Sobieski zog vor dem habsburgischen Kaiser in Wien ein und wurde als Retter Wiens gefeiert. M1: Unbekannt: „Der elende und schimpffliche Abzug des Türckischen Groß-Veziers“. Kupferstich, Illustration auf einem Flugblatt, Wien, 1684 In den folgenden Kriegszügen konnten die Habsburger bis 1699 ihre Oberhoheit über das ehemalige osmanische Gebiet in Südosteuropa ausdehnen. Gedenkveranstaltungen bis 1783 Zum Gedenken an die Befreiung Wiens am 12. September 1683 wurde vom Papst schon zwei Wochen später der katholische Festtag Mariä Namen verbindlich eingeführt. In den Jahren nach der Belagerung fand in Hernals bei Wien eine Gedenkveranstaltung statt: Am Sonntag nach dem Namensfest des Hl. Bartholomäus (24. August) ritt bei dem als Hernalser Eselsritt bezeichneten Umzug ein als Osmane gekleideter Mann auf einem Esel. Unter Kaiser Joseph II. wurde diese zum Volksfest ausgeuferte Veranstaltung abgeschafft. Die Erinnerung mit einer alljährlich stattfindenden kirchlichen Prozession wurde laut einem Bericht der Wiener Zeitung im Gedenkjahr 1783 zum hundertsten und letzten Mal abgehalten. Der Kerninhalt des Gedenkens war die Würdigung der Tapferkeit der Wiener Bevölkerung. Aber auch die Taten des damaligen Kaisers wurden hervorgehoben. Im Krieg Josephs II. zwischen 1788 und 1790 gegen das Osmanische Reich wurde die Belagerung ebenfalls wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=