Alles Geschichte! 6, Schulbuch

142 3.10 Der Weg in den Krieg: Faktoren und Dynamiken Anfang des 20. Jh. wurde ein Krieg der europäischen Großmächte immer wahrscheinlicher. Dabei spielten neben dem Nationalismus, dem Imperialismus, der um die Jahrhundertwende eine Blüte erlebte, und der Situation am Balkan weitere Faktoren eine Rolle. Militarisierung Im Juli 1914 standen sich stark aufgerüstete Armeen gegenüber. Die Rüstungsausgaben stiegen im 20. Jh. bei allen Großmächten an, großteils verdoppelten sie sich zwischen 1900 und 1914. Vor allem zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Großbritannien kam es zu einem Wettrüsten (M1) auf dem Meer. Die deutsche expansive Außen- und Kolonialpolitik, welche die Erweiterung des eigenen Macht- oder Einflussbereiches anstrebte, sowie das damit einhergehende Flottenbauprogramm wurden von Großbritannien als Bedrohungen aufgefasst, woraufhin es mit weiterer Aufrüstung reagierte. Frankreich wiederum versuchte am Land nachzurüsten, um dem einwohnerstärkeren Deutschland entgegentreten zu können. So wurde eine Festungslinie gegen Deutschland errichtet und die Wehrdienstzeit verlängert. Die Großmächte bauten ihr Eisenbahnnetz aus, um den raschen Transport einer großen Menge von Gütern und Truppen zu ermöglichen. Die allgemeine Aufrüstung führte auch zu einer Verbesserung der Waffen: Vor allem Artillerie, Gewehre und Maschinengewehre wurden effektiver und damit tödlicher. Versuche einer Abrüstung und Reglementierung im Kriegsfall Ein internationales Recht existierte 1914 nur in Ansätzen. Dauerhafte internationale Organisationen und Institutionen, welche die Beziehungen zwischen Staaten regelten, gab es vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht. Seit dem Westfälischen Frieden 1648 galt der Grundsatz der Souveränität von Staaten, womit die staatlichen Eigeninteressen verstärkt wurden. Diese wurden in Anlassfällen – meist nach Krisen – im Zuge von Konferenzen und Kongressen ausverhandelt. Einzig am Meer sollte die Neutralität respektiert und geschützt werden, so lautete eine Vereinbarung einiger wesentlicher Mächte von 1856. Auch medizinisches Personal sowie Kranke waren seit der Genfer Konvention 1864 geschützt. Daher war der Vorstoß des russischen Zaren Nikolaus II. bemerkenswert, der 1899 zu einer internationalen Konferenz zur Rüstungsbegrenzung und zur Gründung eines internationalen Schiedsgerichtshofes einlud. Historiker John Keegan über den Vorstoß und Appell des Zaren Nikolaus II. 1899 Historiker sehen in seiner Einladung der Mächte nach Den Haag ein Eingeständnis der militärischen Schwäche Russlands. Zyniker behaupteten damals das Gleiche, ebenso Russlands Erzfeinde in Deutschland und Österreich. Menschen guten Willens, von denen es viele gab, begrüßten die Warnung des Zaren, „der sich beschleunigende Rüstungswettlauf“ – immer stärkere Heere, schwere Geschütze und größere Kriegsschiffe – verwandle „den bewaffneten Frieden in eine erdrückende Last, die auf allen Nationen liegt, und wird, wenn der Prozess andauert, genau zu der Katastrophe führen, die er abzuwenden sucht“. Auch aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung stimmte die Haager Konferenz 1899 sowohl einer Rüstungsbegrenzung (besonders dem Verbot der Bombardierung aus der Luft) als auch der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofes zu. M1: Keegan: Der Erste Weltkrieg, S. 31–32, 2006. Verbindliche Regeln scheiterten aber, da auch bei der Zweiten Haager Konferenz 1907 keine Einigung zwischen den Teilnehmern erzielt wurde. Ein Vermächtnis dieser Konferenzen ist aber die Haager Landkriegsordnung, die z.B. die Rechte von Kriegsgefangenen, Kranken, Verwundeten und Zivilpersonen regelt. Völkerrecht und Regeln für den Krieg Das Völkerrecht regelt in Frieden und Krieg die Beziehungen sowie Rechte und Pflichten der Staaten untereinander. Der internationale Gerichtshof sowie internationale oder universelle Institutionen, wie der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg und die UNO nach dem Zweiten, helfen das Recht durchzusetzen und Kriege zu verhindern bzw. Konflikte beizulegen. Auch für den Krieg gelten Regeln, die auf einer internationalen Übereinstimmung beruhen, aber oft missachtet werden. Unter anderem sollen diese die Zivilbevölkerung schützen und den Einsatz desaströser Waffen verhindern. Ein frühes Beispiel ist die Haager Landkriegsordnung, deren Regelungen in der heute gültigen Genfer Konvention aufgingen. Die Genfer Konvention wurde seit 1864 immer wieder ergänzt und überarbeitet. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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