Alles Geschichte! 6, Schulbuch

132 3.5 Antworten auf die soziale Frage Die im Zuge der Industrialisierung auftretenden Probleme, wie die katastrophalen Arbeitsbedingungen, die Wohnungsnot und die Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung, wurden im 19. Jh. intensiv diskutiert und unter dem Begriff „soziale Frage“ zusammengefasst. Es entwickelten sich verschiedene Organisationsformen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Lösungsansätzen, die sich diesem Thema annahmen. Dabei traten oft Überschneidungen bei Inhalten und Personen auf. Von Seiten der Regierenden gab es zur Zeit der Industrialisierung aber kaum Maßnahmen, um die sozialen Probleme im eigenen Land zu lösen. Als sich die Staaten gegen Ende des 19. Jh. und im beginnenden 20. Jh. dann stärker den Lebensumständen der Bevölkerung widmeten, wurde dafür die noch heute gängige Bezeichnung „Sozialpolitik“ eingeführt. Selbsthilfeorganisationen Beginnend in Großbritannien, gründeten Arbeiter/innen ab dem 19. Jh. Organisationen, um sich gegenseitig in Notlagen zu unterstützen. Die Mitglieder, die meist in derselben Fabrik oder in derselben Branche arbeiteten, zahlten regelmäßige Beiträge in eine gemeinsame Kasse ein. Im Gegenzug bekamen sie in zuvor vereinbarten Schadensfällen, wie Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit, eine Zeitlang eine finanzielle Unterstützung ausbezahlt. Voraussetzung für die Mitgliedschaft war also, dass die Arbeiter/innen einen Teil ihres Einkommens entbehren konnten. Das traf auf die unterste Schicht der Arbeiter/innen, die tatsächlich von der Hand in den Mund lebte, nicht zu. Trotzdem hatten allein in Großbritannien solche Organisationen Millionen von Mitgliedern. Diese Selbsthilfevereine funktionierten also wie eine Versicherung. Darüber hinaus trafen sich die Mitglieder regelmäßig in Zusammenkünften. Gewerkschaften: Gemeinsam stark Noch bedeutender als die Selbsthilfeorganisationen waren die Gewerkschaften. Die darin organisierten Arbeiter/ innen forderten gemeinsam höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. Die Idee hinter einer Gewerkschaft Die einzelne Arbeitskraft ist gegenüber ihrem Arbeitgeber/ihrer Arbeitgeberin relativ machtlos und kann oft leicht ersetzt werden. Die Grundidee einer Gewerkschaft ist daher, dass die Arbeiter/innen mit ihren Forderungen eher Gehör finden, wenn sie sich zusammenschließen. Das wirkungsvollste Druckmittel einer Gewerkschaft in Verhandlungen sind Streiks. Dabei legen die Arbeitskräfte geschlossen die Arbeit nieder, wodurch es zu Ertragseinbußen für die Arbeitgeber/innen kommt. Die ersten Gewerkschaften im ausgehenden 18. Jh. wurden aber nicht von den besonders unter den schlechten Arbeitsbedingungen leidenden Fabriksarbeiter/innen gegründet. Tatsächlich entwickelten sie sich aus den Zünften und wurden vor allem von ehemaligen Handwerkern, die nun als Facharbeiter ihr Auskommen fanden, gegründet. Im industrialisierten Teil Kontinentaleuropas entstanden in der Folge Gewerkschaften, die über Berufsgrenzen hinweg ganze Industriezweige vertraten und dementsprechend einflussreich waren. Gleichzeitig war es aber für die Arbeiter/innen nicht leicht, sich zusammenzuschließen. Denn sowohl von Unternehmensseite als auch per Gesetz wurden die Möglichkeiten, sich zu organisieren, über Jahrzehnte hinweg stark eingeschränkt oder wie in Frankreich mit Verweis auf die Freiheit der Wirtschaft ganz verboten. Von Vertrauenspersonen zum Betriebsrat Die Anliegen der Arbeiter/innen in den einzelnen Unternehmen wurden von sogenannten Vertrauenspersonen vertreten, die jedoch gesetzlich nicht geschützt waren. Erst seit 1919 gibt es in Österreich ein Betriebsrätegesetz. M1: Unbekannt: Streik der Pferdebahn-Bediensteten 1885. Zeitgenössischer Holzstich nach einer Zeichnung von Thure Thulstrup, 1885. Mit Gummiknüppeln machen Polizisten den Weg frei für die Durchfahrt eines Pferdebahn-Wagens. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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