Alles Geschichte! 6, Schulbuch

129 Formalisierung der Arbeit Im Zuge der Industrialisierung kam es zu einer Formalisierung der Arbeit. Das heißt, es wurden für die verschiedenen Bereiche Regelungen geschaffen: Arbeitszeit, Krankenstände, Entlohnung und Folgen bei Versäumnissen. Diese Vereinbarungen waren zu Beginn der Industrialisierung eindeutig zugunsten der Unternehmen ausgestaltet. So wurde etwa die durchschnittliche Wochenarbeitszeit zunächst schrittweise von etwa 60 bis 70 Stunden auf 80 bis 85 Stunden erhöht. In der Mitte des 19. Jh. war sie rund doppelt so hoch wie heute. Ein Grund dafür war, dass noch kaum gesetzliche Vorgaben existierten, auf die sich die Arbeiter/innen hätten berufen können. Zum anderen gab es genug Arbeitsuchende als Ersatz, wenn jemand nicht in die Fabriksordnung einwilligte. Solange sie sich nicht zusammenschlossen, waren die Arbeiter/innen den Fabriksbesitzern also ausgeliefert. Die Modernisierung der Landwirtschaft Durch zahlreiche Modernisierungen nahm der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten während der Industrialisierung ab, und das bei höherer Produktion. Ab 1850 verbreiteten sich auch im Agrarbereich zunehmend dampfbetriebene Maschinen. Dabei zogen häufig eigene Unternehmen mit entsprechenden Maschinen von Hof zu Hof und erledigten gegen Entgelt gewisse Arbeiten, wie etwa das sonst äußerst mühsame und zeitintensive Dreschen des Getreides. Arbeitsunfälle und Schutzmaßnahmen Arbeitsunfälle kamen im 19. Jh. häufig vor. Das hatte eine Vielzahl von Gründen: Die Arbeitskräfte waren häufig schlecht bzw. gar nicht für ihre Tätigkeit ausgebildet. Gleichzeitig liefen die Arbeitsprozesse oft in einem hohen Tempo ab, sodass die Arbeiter/innen nur schwer mithalten konnten. Außerdem beeinträchtigten Hitze, Lärm, Gestank, Schmutz und schlechte Luft die Arbeit. M3: Unbekannt: Frau an einer Spinnmaschine. Holzstich, 1862 Aber nicht nur Unfälle, auch gesundheitliche Langzeitfolgen waren ein Problem. Die Arbeiter/innen waren häufig giftigen Stoffen ausgesetzt oder mussten schädlichen Staub einatmen, ein Nebenprodukt der Braunkohle- und Baumwollproduktion. Die Ursache dafür, dass der Arbeitsplatz eine große Gefahr für die Gesundheit darstellte, lag im Fehlen gesetzlicher Vorgaben für Schutzmaßnahmen und in der mangelnden Eigeninitiative der Unternehmer, die vor allem ihre Gewinne im Blick hatten. Auswirkungen auf Geschlechterverhältnisse Mit der Industrialisierung und der grundlegenden Veränderung der Arbeitswelt wandelte sich auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Während vor der Industrialisierung die meisten handwerklichen Tätigkeiten Männerdomänen waren, ermöglichte die Mechanisierung Frauen teilweise, sich in den Arbeitsfeldern zu etablieren. Insgesamt arbeiteten Frauen aber eher im Dienstleistungsbereich als in Fabriken, vor allem als Hausangestellte. Von Unternehmerseite wurden Frauen als Arbeitskräfte widersprüchlich betrachtet: Auf der einen Seite bevorzugte man in manchen Branchen körperlich stärker gebaute Männer, auf der anderen Seite konnte man Frauen, ähnlich wie Kindern, mit Verweis auf ihre vermeintlich geringere Arbeitskraft weniger Lohn bezahlen, obwohl sie in der Regel dieselbe Leistung erbrachten. Größere Mitbestimmung ergab sich durch diese Veränderungen nicht. Frauen benötigten sogar die Erlaubnis ihres Mannes bzw. Vaters, um überhaupt einer Arbeit nachgehen zu dürfen. In Österreich bestand diese Regelung noch bis 1975. Auch das Einkommen wurde üblicherweise an den Hausherren abgeliefert. Gleichzeitig schrumpfte die Bedeutung des traditionellen Familienverbands. Vor der Industrialisierung war es üblich, dass der beruflichen Tätigkeit gemeinsam als Familie und zumeist zuhause nachgegangen wurde. In den Fabriken war das kaum mehr möglich und die langen Arbeitszeiten und die Schichtarbeit sorgten dafür, dass man sowohl Partner oder Partnerin als auch die eigenen Kinder viel seltener sah. Jetzt bist du dran: 1. Vergleiche die beiden Arbeitsplätze M1 und M3. Gehe dabei unter anderem auf den Ort selbst, die Umstände und die Umgebung ein. 2. Dekonstruiere die Aussagen des amerikanischen Unternehmers Henry Ford (M2) zur Arbeit in der Fabrik. Beziehe dich dabei auf den Autorentext und bringe eigene Erfahrungen mit repetitiver Arbeit ein. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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