110 Das Gleichgewicht der Kräfte Die Beschlüsse sollten die feudale Ordnung wiederherstellen und das europäische Gleichgewicht stützen. Daher war es wichtig, dass die fünf europäischen Großmächte den Ergebnissen zustimmten und diese als vorteilhaft sahen. Es galt, konkurrierendes Verhalten, welches wieder in einen Krieg münden könnte, zu verhindern. Die Machtverhältnisse sollten weitgehend stabil bleiben. Aus diesem Grund traf man auch für Gebiete außerhalb der europäischen Grenzen Absprachen. Die Interessen Großbritanniens verlagerten sich vom Kontinent weg, es strebte danach, seinen Status als führende See- und Welthandelsmacht zu behalten. Russland verlagerte seine Interessen in Richtung Osmanisches Reich und Persien. Die europäischen Monarchien schotteten sich weiter gegenüber den USA ab, da diese für revolutionäre Gedanken und die von den Monarchien abgelehnte verfassungsstaatliche Politik standen. Kunsthistorikerin Juneja und Historiker Wenzlhuemer über die Bedeutung des Wiener Kongresses In der historischen Forschung herrscht Konsens darüber, dass es dem Wiener Kongress gelungen ist, dem europäischen Kontinent tatsächlich für geraume Zeit Frieden zu bescheren. Die von ihm geschaffene Ordnung wurde von Aufständen und Revolutionen um die Jahrhundertmitte erschüttert, doch nicht ganz außer Kraft gesetzt. Zugleich aber setzte das Wiener System eine Art eingefrorenen Status quo des Jahres 1815 voraus, sein Erfolg war auf innenpolitischen Konservatismus angewiesen. Vielen Menschen gab der Kongress das, was sie haben wollten: Frieden und Ordnung unter traditionellen Herrschern. Dafür stellte das System sich gegen neu auftretende historische Entwicklungen, sodass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schritt für Schritt demontiert wurde. M6: Juneja/Wenzlhuemer: Die Neuzeit 1789–1914, 2013, S. 97. Die Heilige Allianz 1815 wurde zwischen Zar Alexander I. (Russland), Kaiser Franz I. (Österreich) und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen das Bündnis der Heiligen Allianz geschlossen. Dieses Bündnis sollte die Völker der Reiche auf Grundlage der christlichen Religion verbinden und den Zusammenhalt der Monarchien fördern. Revolutionäre Bestrebungen sollten gemeinsam verhindert werden. Der Deutsche Bund Aus den vormals weit über 100 eigenständigen Staaten auf deutschem Gebiet hatten sich nach der napoleonischen Herrschaft und dem Wiener Kongress etwa 40 Staaten gebildet, die monarchisch regiert wurden. Dies stand der Forderung vieler Bürger/innen entgegen, die sich den Zusammenschluss der deutschen Staaten in einem Nationalstaat (s. S. 138) sowie die Gewährung von Menschenrechten und Mitbestimmung wünschten. 1815 wurde der Deutsche Bund gegründet, dem 35 souveräne Fürsten und vier freie Städte beitraten. Der Staatenbund war kein direkter Nachfolger des Heiligen Römischen Reiches, da die Staaten ihre Eigenständigkeit behielten. In der Deutschen Bundesakte von 1815, dem Gründungsvertrag, wurde festgelegt, dass sich die Mitgliedstaaten unter keinem Vorwand bekriegen dürften, sondern Konfliktthemen im Bundestag vorzubringen hätten. Außerdem wurde die Einführung von Verfassungen in den Mitgliedstaaten festgelegt, was aber von den meisten Staaten nicht umgesetzt wurde. Als Hauptsitz des Deutschen Bundes wurde Frankfurt gewählt. Die oberste Behörde nannte sich Bundestag und stand unter dem Vorsitz Österreichs. Beschlüsse auf Bundesebene konnten nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Den christlichen Konfessionen wurden politische und Bürgerrechte garantiert. Der Historiker Arnulf Scriba über die Deutsche Bundesakte 1815: Bürgerrechte für Juden Artikel 16 bestätigte die Gleichstellung der [christlichen] Konfessionen in politischer Hinsicht, überließ aber den Einzelstaaten die Gewährung von Bürgerrechten an Juden. Gegen den von Österreich, Preußen, Hannover, Kurhessen, Nassau, Luxemburg, Sachsen-Gotha sowie von Waldeck und Schaumburg-Lippe unterstützten Vorschlag, Juden die Bürgerrechte einheitlich durch die Bundesakte einzuräumen, hatte es bei der Mehrheit der Bevollmächtigten in Wien [= beim Wiener Kongress] Widerstand gegeben. M7: Scriba: Die Deutsche Bundesakte von 1815. Online auf: www.dhm.de (22.8.2022). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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