Alles Geschichte! 6, Schulbuch

108 2.7 Neuordnung Europas – Der Wiener Kongress Mit Napoleons Verbannung nach Elba übernahm die Dynastie der Bourbonen wieder die Macht in Frankreich. 1814 wurde Ludwig XVIII., der Bruder Ludwigs XVI., König von Frankreich und somit der Verhandlungspartner der siegreichen Koalition. Territoriale Neuordnung und Restauration Napoleon hatte in den besetzten Staaten viele Änderungen vorgenommen: Er hatte neue Staaten gegründet und die Bürokratie der beherrschten Staaten modernisiert. Er hatte den Code civil eingeführt und somit gleiche Rechte für alle festgelegt. Sein Aufstieg war mit der Französischen Revolution und ihren Vorstellungen von Menschenrechten zusammengefallen. Die konservativen Kräfte Europas strebten nun danach, eine territoriale Neuordnung Europas zu schaffen, die Stabilität herstellte und weitere Kriege verhinderte (Gleichgewicht der Kräfte, s. S. 110). Außerdem sollten die Verhandlungen auf drei Grundsätzen beruhen: Man wollte die politischen Verhältnisse, die vor der Französischen Revolution geherrscht hatten, wiederherstellen (Restauration) und gemeinsam revolutionäre Bestrebungen mit ihrem Ziel, Verfassungsstaaten zu errichten, langfristig verhindern (Solidarität). Somit erschien es sinnvoll, die monarchisch-dynastische Legitimität (Rechtmäßigkeit) der Staaten zu fördern. Teilnehmer/innen des Wiener Kongresses Im November 1814 reisten daher über 300 Delegationen, darunter sechs Könige, zu Verhandlungen über die neue Ordnung nach Wien. Mit den teilnehmenden hohen Politikern reiste auch eine hohe Zahl an Bediensteten und Dienstleistern, sodass die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner Wiens von ungefähr 265 000 auf etwa 300 000 anwuchs. Die führenden Rollen am Kongress nahmen fünf Staaten ein: Russland, Preußen, Österreich, Großbritannien und Frankreich. Oberster Diplomat und Verhandlungsleiter war Österreichs Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst Metternich (1773–1859). Während des Kongresses „Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht vorwärts“, so lautet eine zeitgenössische Beschreibung des Kongressverlaufs. Neben Verhandlungen und politischen Gesprächen gab es zahlreiche Feiern und Bälle. Diese Vergnügungen wurden allerdings auch dazu genutzt, die anderen Kongressteilnehmer/innen auszuspionieren und Spitzel einzusetzen. Außerdem fanden dort auch informelle Gespräche statt. M1: Ort des Wiener Kongresses: Ballhausplatz in Wien, die ehemalige Hof- und Staatskanzlei. Fotografie, 2022 Der Kongress war geprägt von Misstrauen und Rivalitäten. Im Dachboden der Haus- und Staatskanzlei saßen zahlreiche Schreiber, die über Löcher im Boden die Gespräche verfolgen konnten. Ihre Aufgabe war es, alles Gesagte schriftlich festzuhalten. In dem über neun Monate dauernden Kongress kam es immer wieder zum Stillstand in den Verhandlungen, weil diskutiert wurde, welcher Herrscher wichtiger sei. Außerdem wollte jeder Monarch seine Gebietsansprüche durchsetzen. Die Kulturwissenschafterin Hazel Rosenstrauch über die Entscheidungsträger des Kongresses Alle haben sich inszeniert und sie standen ja auch ständig auf der Bühne. Erst heute finden wir es komisch, dass Männer mit Männern stundenlang über Herzensangelegenheiten statt über wichtige politische Geschäfte geredet haben, wie Friedrich Gentz [= Metternichs Berater] erzählt, dem Metternich sein Herz ausschüttet, weil [Herzogin] Wilhelmine von Sagan ihn nicht so liebt, wie er wollte. Für die Herren – man weiß es von Hardenberg [= preußischer Staatskanzler], Humboldt [= preußischer Gelehrter] und anderen – rangierten Gefühlsirritationen gleichberechtigt neben politischen Geschäften, sie wurden ebenso intensiv gepflegt. M2: Rosenstrauch: Congress mit Damen, 2014, S. 41. Die Frauen am Wiener Kongress Frauen beteiligten sich nicht an den politischen Verhandlungen. Jedoch nahmen einige gebildete, politisch kenntnisreiche adelige Frauen als Beraterinnen großen Einfluss auf die Ergebnisse des Kongresses. Außerdem gestalteten sie für die Kongressteilnehmer/innen und -besucher/innen Empfänge, vermittelten Gespräche oder unterhielten Salons. Die Salons ermöglichten Zusammenkünfte, in denen unter anderem politische Meinungen ausgetauscht wurden. Über diese Veranstaltungen konnte man oftmals Zugang zu den Fürsten erhalten. Somit hatten Frauen zumindest informellen Einfluss. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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