Alles Geschichte! 6, Schulbuch

101 Eine erhebliche Bevölkerungszunahme im 18. Jh. verschärfte die Situation auch in den Städten – Arbeitsplätze wurden weniger, die Zunftordnungen hemmten die Bildung freier Betriebe und somit die wirtschaftliche Entwicklung. In den Städten lebten der Adel und das gehobene Bürgertum von den Erträgen der eigenen Landgüter, welche die Landbevölkerung erwirtschaftete, was zu Spannungen zwischen Stadt und Land führte. Die bürgerlich-städtische Oberschicht Zum gehobenen Bürgertum, der Bourgeoisie, wie sie sich selbst nannte, zählten die oberen Gruppen des dritten Standes; sie lebten von Erbschaften, selbst erworbenem Reichtum oder vom Handel. […], das Vorbild des Adels war [für sie] tonangebend. Auch eine kapitalistische Gesinnung ist nicht feststellbar, denn die Bereitschaft zur Investition des erworbenen Kapitals war kaum ausgeprägt. Stattdessen wurden die Gewinne zum Erwerb von Grundbesitz und zum Ämterkauf verwendet. […] Das politische und geistige Selbstbewusstsein der französischen Bourgeoisie war sehr stark durch die Aufklärung geprägt, […]. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zählten sich auch gebildete Juristen, Mediziner, Theologen oder Philosophen zu dieser Gruppe. […] Die Bereitschaft der Bourgeoisie, wirtschaftliche, politische und /oder soziale Missstände zu kritisieren, schließlich auch politisch zu handeln, entstand erst, als die drohende finanzielle Zerrüttung des Staatshaushaltes die eigene wirtschaftliche Sicherheit zu bedrohen begann. M3: Schorn-Schütte: Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit, 2019, S. 255. Die wirtschaftliche Lage verschärfte sich durch Missernten und die anschließende Hungersnot. 1788 konnte Frankreich seine Schulden nicht mehr bezahlen und erklärte den Staatsbankrott. Einberufung der Generalstände (États généraux) Um einen Ausweg aus dieser schwierigen Lage zu finden, berief Ludwig XVI. die Generalstände ein, die seit 174 Jahren nicht mehr zusammengetreten waren. Dazu wählte jeder Stand Abgesandte. Gemeinsam sollten die Staatsverschuldung und die Ungerechtigkeit des Steuersystems besprochen werden. In den Generalständen vertreten waren • der erste Stand: Klerus (291 Abgesandte), • der zweite Stand: Adel (270 Abgesandte), • der dritte Stand: Bürgertum (578 Abgesandte, darunter nur ein Bauer). M4: Unbekannt: Eintreffen der Vertreter der Generalstände am 5. Mai 1789 in Versailles. Zeitgenössische Radierung Die Eröffnung der Versammlung fand am 5. Mai 1789 durch König Ludwig XVI. statt. Gleich zu Beginn der Sitzung verlangte der dritte Stand, der weit über 90 % der Bevölkerung vertrat, eine Beratung aller drei Kurien (= Stände) gemeinsam und eine Abstimmung nach Köpfen und nicht nach Kurien, was dem dritten Stand einen Stimmenvorteil gebracht hätte. Gründung der Nationalversammlung Diesen Forderungen erteilten der König und der Adel eine Absage, was am 17. Juni 1789 dazu führte, dass sich der dritte Stand zur Nationalversammlung erklärte – die Idee der Nation löste die Aufteilung nach Ständen ab. Am 20. Juni 1789 legten die Vertreter des dritten Standes in einem Sportsaal, der Ballhaus genannt wurde, den Ballhausschwur ab: Die Versammlung werde erst dann aufgelöst, wenn die Abgeordneten eine schriftliche Verfassung verabschiedet hätten. Der König hatte währenddessen Truppen um Paris zusammenziehen lassen. Die Nationalversammlung reagierte mit der Bewaffnung der Pariser Bevölkerung. Ein rundes Abzeichen in Blau, Weiß, Rot diente als Kennzeichen der Aufständischen. Weitere Entwicklungen in Paris und am Land Am 14. Juli 1789 stürmten Pariser/innen mit zuvor erbeuteten Waffen die Bastille, das Staatsgefängnis für politische Häftlinge. Dieses Ereignis hat bis heute eine große symbolische Bedeutung. Am 14. Juli 1790 wurde erstmals der Jahrestag der Erstürmung der Bastille auf einem Feld in Paris begangen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=