13 1.4 Epocheneinteilungen, Periodisierung und Zäsuren Kritik am Begriff des Mittelalters Auf Kritik am Mittelalterbegriff erhält man häufig die Antwort, dass dieser zwar nicht perfekt, aber ungemein praktisch sei. Er habe sich allgemein eingebürgert, und deswegen wisse jeder, der ihn gebraucht, was damit gemeint ist. Wir wissen doch, wovon wir reden, wenn wir Mittelalter sagen. Wissen wir das wirklich? Wann beginnt das Mittelalter überhaupt? Das Ende des Weströmischen Reiches im Jahre 476 kann schließlich nicht für die ganze Welt zur Epochengrenze werden. So eröffnet sich Raum für endlose Diskussionen. Wann beginnt das Mittelalter in Damaskus? Der übliche Vorschlag ist die arabische Eroberung 635, eineinhalb Jahrhunderte später. Wann hört das Oströmische Reich auf, römisch zu sein, um zum „Byzantinischen“ Reich und damit mittelalterlich zu werden? M1 Bauer: Warum es kein islamisches Mittelalter gab. Das Erbe der Antike und der Orient, 2018, S. 13. Das Problemmit den Zäsuren In der Geschichtswissenschaft bezeichnen Zäsuren gravierende Einschnitte, welche die Grenze zwischen zwei Epochen markieren. Katastrophen, Umbrüche, Kriege und ähnliche historische Umwälzungen, die die Menschen erlebten und prägten, dienen dazu, Epochen zeitlich zu begrenzen. Bei den Zäsuren geht es wie bei Epochen darum, die Geschichte besser strukturieren zu können. Sie sind gleichzeitig problematisch und unentbehrlich. Es ist wichtig, zu wissen, dass diese Zäsuren zumeist nur ein markantes Ereignis darstellen, in dessen zeitlicher Umgebung sich die Gegebenheiten für die Menschen verändert haben, dass aber niemals mit einem bestimmten Datum ein ganzes Zeitalter tatsächlich begann oder endete. Hierbei handelt es sich immer um langfristige Entwicklungsprozesse. Ein solche Zäsur könnte in der Zukunft der Geschichtsschreibung das Jahr 2020 mit der Corona-Pandemie darstellen. Die Bedeutung der Nationalstaaten nahm durch sie wieder zu, die Abhängigkeit Europas von in Asien hergestellten Produkten wurde offenbar und der freie Verkehr von Waren sowie die Mobilität von Menschen wurden stark eingeschränkt. „Alles Geschichte! 5“ beschäftigt sich hauptsächlich mit den beiden Epochen in der europäischen Geschichte, die als Antike und Mittelalter bezeichnet werden. Die Einteilung der Zeit in Epochen (Zeitabschnitte) entstammt dem Versuch, die Vergangenheit zu ordnen und sie dadurch leichter begreifbar zu machen. Dabei unterscheiden sich die Epocheneinteilungen von Geschichte, Literatur, Kunst und Philosophie voneinander. Es ist sehr schwierig, Epochen mit treffenden Namen zu versehen, sodass sie tatsächlich etwas über die Besonderheiten der Zeit aussagen. Zu bedenken ist, dass den Menschen, die in diesen Zeitabschnitten lebten, diese Gliederungen noch unbekannt waren. Europäische Geschichtsperiodisierung Unter der Periodisierung der Geschichte versteht man die Einteilung der Geschichte in Epochen. Die Einteilung in Antike (Altertum), Mittelalter und Neuzeit existiert in Europa seit dem 18. Jh. und hat ihren Ursprung in der Renaissance – jener Kulturepoche, die den Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit bezeichnet. Damals bewunderten die Gelehrten die Schriften der Antike und nannten den Zeitraum zwischen Renaissance und Antike etwas abwertend „Mittelalter“. Dass das „Mittelalter“ einen Zeitabschnitt von 1000 Jahren umfasst, finden manche Historikerinnen und Historiker problematisch, weil es so viele Umbrüche und große Veränderungen innerhalb dieser Epoche gibt. Noch problematischer scheint es, diesen Epochenbegriff auf andere Kulturen anzuwenden, da bestimmte Merkmale und Veränderungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in verschiedenen Regionen der Welt auftraten. Deswegen wird die bei uns übliche Periodisierung oft als eurozentrisch kritisiert. Jetzt bist du dran: 1. Diskutiere, wie die Zeit, in der wir heute leben, in 500 Jahren als Epoche genannt werden könnte. Welche Ereignisse könnten namensgebend sein? 2. Fasse in eigenen Worten die Kritik des Historikers Thomas Bauer am Mittelalterbegriff (M1) zusammen. 3. Bewerte die Epochenbegriffe und begründe dein Urteil. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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