Alles Geschichte! 5, Schulbuch

2000 125 Bürgerrecht: „Stadtluft macht frei“ Das Leben in einer Stadt unterschied sich grundlegend von jenem der Landbevölkerung, die in Grundherrschaften lebte. Während die Menschen am Land vorwiegend in der Landwirtschaft arbeiteten, waren die Menschen in der Stadt unter anderem als Handwerker und Handwerksgesellen, Kaufleute, Hilfsarbeiter und Hausbedienstete tätig. Die Stadtbevölkerung war frei von grundherrschaftlichen Verpflichtungen. So konnten Unfreie, sofern sie ein Jahr und einen Tag in einer Stadt wohnten, nicht mehr von ihrem Grundherrn zurückgefordert werden. Daher rührt auch das Sprichwort „Stadtluft macht frei“. Die Stadtbürger genossen durch das Stadtrecht persönliche Freiheit, Freizügigkeit, Schutz vor Übergriffen und durften vererbbare Güter besitzen. In einigen Städten konnten auch Frauen das Bürgerrecht erlangen. Die Stadt als Lebensraum für drei Bevölkerungsschichten Trotz der oft betonten Differenz zum feudalen System am Land gab es in der Gesellschaft einer Stadt starke soziale und rechtliche Unterschiede. Die Oberschicht, oftmals Patrizier genannt, zeichnete sich durch großes Vermögen und Besitz aus. Zu ihr zählten reiche Kaufleute, in der Stadt lebende adelige Grundbesitzer und reiche Handwerker. Die politische Macht lag oft in den Händen weniger Dynastien von Kaufleuten. Die Mittelschicht bildeten vor allem weniger vermögende Handwerker und Kaufleute, aber auch Fuhr- und Schiffsunternehmer sowie Ärzte. Handwerker und Kaufleute organisierten sich in Genossenschaften – den Zünften der Handwerker und Gilden der Kaufleute. Die Unterschicht, welche in Armut lebte, konnte über 40% einer Stadtbevölkerung ausmachen. Hierzu zählten arme Handwerker und Kleinkaufleute, Tagelöhner, Unselbstständige wie Dienstboten und Gesinde sowie Bettler. Recht der Mittel- und Oberschicht Das Bürgerrecht besaßen vor allem Angehörige der Mittel- und Oberschicht. Es erforderte in den meisten Städten ein Mindesteinkommen, eine einmalige Zahlung bzw. den Besitz von Haus und Grund in der Stadt. Im Gegenzug für Schutz und Frieden mussten Bürger gewissen Pflichten nachkommen, wie Steuerabgaben oder die Beteiligung an der Stadtverteidigung und an Wachdiensten. Diskriminierung von Randgruppen Angehörige bestimmter Berufe, Religionen oder Menschen, deren Herkunft oder Verhalten im Mittelalter als Makel gesehen wurde, wie Verbrecher/innen und Ketzer/innen, galten als „unehrlich“ und waren zum größten Teil vom öffentlichen Leben einer Stadt ausgeschlossen. Angehörige dieser Gruppen durften keine Gerichtsfunktionen übernehmen, keine Zeugen oder Vormunde sein und sie durften in der Regel keine Genossenschaften bilden oder diesen beitreten. Der Umgang mit ihnen konnte für Ehrliche negative Folgen haben, weshalb sie die Geächteten sozial mieden, sofern diesen nicht ohnehin Kontaktverbote auferlegt waren. Gruppen von „Unehrlichen“ Zu den Unehrlichen gehörten z. B. unehelich Geborene oder Menschen, deren Eltern „unehrlich“ waren, sowie bestimmte Berufe wie Totengräber, Henker, Hebammen, Abdecker und Menschen, die Abfälle beseitigten. Das Abweichen vom Idealbild des Menschen durch körperliche oder geistige Beeinträchtigung konnte ebenfalls zum Ausschluss aus der Gesellschaft führen. Aufgrund ihrer Lebensweise, Herkunft oder Konfession diskriminiert wurden auch Romnija/Roma und Sintizas/Sinti, die vermehrt ab dem späten 14. Jh. nach Mitteleuropa kamen, sowie Jüdinnen und Juden (s. S. 172–177). Unterhaltungskünstler/innen Im Unterhaltungsgewerbe Tätige, wie Spielleute und Gaukler, waren von der Kirche geächtet und vom christlichen Abendmahl ausgeschlossen. Sie erfreuten sich auf den Marktplätzen der Städte großer Beliebtheit, waren aber rechtlich benachteiligt, da sie zu den fahrenden Berufen zählten und somit als gefährlich galten. Ihnen haftete der Ruf von Kriminellen und Schmarotzern an. Prostitution: Regeln, aber keine Rechte Weibliche Prostituierte zählten ebenfalls zu den Unehrlichen. Allerdings wurde weibliche Prostitution einigermaßen akzeptiert und in Bordellen teils durch das Stadtrecht reglementiert. Oft waren Prostituierte gewissen Kleidervorschriften unterworfen, die das Tragen bestimmter Kleidungsstücke oder Accessoires wie Schleier und Bänder in den Schandfarben gelb, rot oder grün vorsahen. Sie durften keine Speisen berühren und waren durch Aberglauben stigmatisiert (negativ bewertet), indem man ihnen nachsagte, Unglück zu bringen. Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=