2000 117 Das Lehenswesen bildet zusammen mit der Grundherrschaft und der Ständeordnung die grundlegende politische und gesellschaftliche Ordnung des Mittelalters, die auch mit dem Begriff Feudalismus bzw. Feudalsystem bezeichnet wird. Feudalismus – ein mehrdeutiger Begriff Der Begriff geht auf das lateinische Wort „feudum“ zurück, das Lehensgut bedeutet. Im 18. Jh. bezeichneten Vertreter der französischen Aufklärung in Frankreich, wie der Philosoph Voltaire, die von ihnen als ungerecht empfundenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen des vorrevolutionären Frankreichs abwertend mit dem Begriff „système féodal“. Im deutschen Sprachraum bedeutet das Adjektiv feudal „vornehm, herrschaftlich, aufwendig“. In der Geschichtsforschung wird mit dem Begriff Feudalsystem im engeren Sinne das Lehenswesen, im Weiteren auch das System der Grundherrschaft bzw. die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur und die Verteilung der Rechte und Privilegien bezeichnet. Die Grundherrschaft als wirtschaftliche Basis Das Prinzip der Grundherrschaft besagte, dass ein Grundherr, zumeist ein Adeliger, oder eine Institution, wie beispielsweise ein Kloster, die Herrschaft über Grund und Boden und die darauf arbeitenden Menschen ausübte. Dabei verlieh der Grundherr den größeren Teil des Landes an Bauern, die ihre jeweiligen Grundstücke bewirtschafteten. Dafür erhielten sie Schutz und hatten im Gegenzug Abgaben und Frondienste für den Grundherrn zu leisten. Frondienste waren unbezahlte Arbeiten, z. B. handwerkliche und landwirtschaftliche Tätigkeiten auf den Fron- bzw. Gutshöfen des Grundherrn, die als Zentren einer Grundherrschaft dienten. Abgaben wurden ursprünglich in Form von Naturalien geleistet, d. h., der Grundherr erhielt Teile der Ernte oder Vieh. Als sich im Hochmittelalter die Geldwirtschaft verbreitete, lösten allmählich Geldbeträge die Naturalienabgaben ab. Konnten die Abgaben nicht in ausreichender Menge oder nur mit Verzögerung eingebracht werden, drohten den Bauern teils strenge Strafen. Diese waren oftmals mit körperlicher Gewalt verbunden oder richteten sich gegen deren Existenzgrundlage. Abseits der Lehenspyramide Geistliche Ländereien, welche Bischöfen unterstanden, genossen die Reichsunmittelbarkeit. Dadurch waren sie lediglich dem König, nicht aber einem Landesherrn untergeordnet. Im Laufe des Hoch- und vor allem des Spätmittelalters erlangten auch immer mehr Städte die Reichsfreiheit. Diese Reichsstädte unterstanden ebenfalls direkt dem König und sagten sich von der Kontrolle des jeweiligen Landesfürsten, auf dessen Gebiet sie gegründet worden waren, los. Jetzt bist du dran: 1. Nimm mit Hilfe des Autorentextes kritisch zur Darstellung der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung in Form einer Lehenspyramide (M1) Stellung. Was vermag diese idealtypische Darstellung nicht zu zeigen? 2. Beschreibe die bildliche Quelle aus dem Sachenspiegel (M2) möglichst genau. Benenne, was darin gezeigt wird. 3. Nimm Stellung dazu, ob es in unserer gegenwärtigen Gesellschaft Führungsschichten mit besonderen Rechten gibt und ob die gesellschaftliche Ordnung Abhängigkeitsverhältnisse zwischen bestimmten Gruppen festlegt. Diskutiere mögliche Gründe und Voraussetzungen dafür. M2 Der thronende König verleiht ein Bischofs- und Fahnenlehen (weltliches Lehen). Ausschnitt aus der Heidelberger Handschrift des „Sachsenspiegels“, um 1300/1315 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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