Alles Geschichte! 5, Schulbuch

2000 105 Auch die genauen Regeln für die Königswahl und die Auswahl der Kurfürsten (vier weltliche, drei geistliche Fürsten) wurden festgelegt. Die Goldene Bulle gilt auch heute noch als eines der grundlegenden Gesetze des Römisch-deutschen Reiches. Die Wahl des römischen Königs Die Fürsten waren wie „zu einem Leib vereinigt“. Wahlen waren zu dieser Zeit immer einmütig; denn nur in der Eintracht offenbarte sich das Wirken des Heiligen Geistes, der durch die Wähler mit einer Stimme sprach. […] Es war keine Wahl nach unserem Verständnis, keine Abstimmung und Zählung der Einzelstimmen zur Ermittlung einer Mehrheit. […] Die Fürsten waren Rivalen untereinander, viel zu sehr auf ihre Macht und ihren Vorteil aus, als dass sie sich leichten Herzens einem König aus ihren Reihen unterworfen hätten. Das Kräftemessen um das Königtum fand vor der Wahl statt. […] In den Wochen nach dem Tod des letzten Königs und wohl auch schon davor verhandelten die wichtigsten Fürsten um die Nachfolge. Hier wurde mit Drohungen und Versprechungen, Intrigen und Tricks um Positionen gefeilscht, bis die „Einmütigkeit“ gefunden war, die dann beim eigentlichen Wahlakt zum Ausdruck kommen musste. […] Die einstimmige Wahl war damit durchaus das Ergebnis eines Meinungsbildungsprozesses. M2 Bühler: Herrschaft im Mittelalter, 2013, S. 37 f. Weltliche und geistliche Fürsten Neben den weltlichen gab es im Heiligen Römischen Reich auch geistliche Fürsten. Die Kirche hatte somit auch starken politischen Einfluss. Als Inhaber von Reichsterritorien wurden die geistlichen Herrscher vom Kaiser mit bestimmten weltlichen Rechten und Privilegien ausgestattet. Die Vergabe von Lehen an Geistliche war für den Kaiser von Vorteil, da diese nach dem Tod eines geistlichen Fürsten an ihn zurückfielen und neu vergeben werden konnten. Die Reichsbischöfe und Reichsäbte waren somit sowohl dem Papst als auch dem König bzw. Kaiser unterstellt. Kam es zu Konflikten zwischen den Interessen des Papstes und des weltlichen Herrschers, gehorchten diese Geistlichen meist ihrem weltlichen Herren. Die Macht des Papstes wurde dadurch im Römisch-deutschen Reich geschwächt. Die Besonderheiten des Heiligen Römischen Reiches 1. Das Reich war ein auf Tradition und Konsens beruhender Verband. Seine Ordnung bestand teils in gewohnheitsrechtlichen Herkommen, teils in ausdrücklichen Vereinbarungen […]. 2. Das Reich war ein Personenverband, der im Kern bis zum Schluss auf gegenseitigen persönlichen Treueverpflichtungen beruhte. […] 3. Das Reich war ein hierarchisch strukturierter Verband. […] 4. Das Reich war ein Friedens- und Rechtswahrungsverband und von seiner Struktur her defensiv. […] 7. Im Reich waren religiöse und politische Ordnung nicht voneinander getrennt. […] 8. Das Reich war ein Verband heterogener Glieder unter einem Oberhaupt, dem Kaiser. […] 11. Das Reich war in den verschiedenen Phasen seiner Geschichte in unterschiedlichem Maße dazu in der Lage, sich an veränderte Umstände anzupassen. M3 Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, 2018, S. 116–120. Reichsinsignien Die Reichsinsignien des Heiligen Römischen Reiches sind in der Kaiserlichen Schatzkammer Wien fast vollständig vorhanden. Zu ihnen zählen die Reichskrone, der Krönungsornat, der Reichsapfel, das Szepter, das Reichs- und Zeremonienschwert; weiters das Reichskreuz, die Heilige Lanze und andere Reliquien. Die Stücke besaßen eine große Symbolkraft und unterstützten in ihrer Wirkung die Legitimität des Kaisers. Sie wurden während der Reisen des Kaisers durch das Reich mitgeführt. Ab 1424 wurden sie in Nürnberg aufbewahrt. Mit der Auflösung des Römisch-deutschen Reiches 1806 gingen die Stücke in den Besitz des Kaisertums Österreich als Rechtsnachfolger des HRR über (s. S. 170). Jetzt bist du dran: 1. Erkläre in eigenen Worten die Besonderheiten des Heiligen Römischen Reiches. Beziehe dabei die Karte und den Textausschnitt M3 ein. 2. Nenne Vor- und Nachteile der Wahl eines Oberhauptes durch eine fix festgelegte kleine Gruppe mächtiger Personen. Beziehe dich dabei auf M2. 3. Diskutiere mögliche Gefahren einer fehlenden Trennung von weltlicher und kirchlicher Macht. 4. Erläutere das Verhältnis von Kirche und Staat im heutigen Österreich. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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