166 2. AKTIV-ENTDECKENDES UND SOZIALES LERNEN Das für die Konzeption zentrale didaktische Prinzip des aktiventdeckenden und sozialen Lernens gründet sich auf aktivistische Lerntheorien, insbesondere die genetische Psychologie des Schweizer Psychologen Jean Piaget (1896 – 1980), ist aber auch fundamental mit der Mathematik verbunden. Heinrich Winter hat dieses Prinzip 1985 prägnant formuliert: Den Aufgaben und Zielen des Mathematikunterrichts wird in besonderem Maße eine Konzeption gerecht, in der das Mathematiklernen als ein konstruktiver, entdeckender Prozess aufgefasst wird. Der Unterricht muss daher so gestaltet werden, dass die Kinder möglichst viele Gelegenheiten zum selbsttätigen Lernen in allen Phasen eines Lernprozesses erhalten. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, herausfordernde Anlässe zu finden und anzubieten, ergiebige Arbeitsmittel und produktive Übungsformen bereitzustellen und vor allem eine Kommunikation aufzubauen und zu erhalten, die dem Lernen aller Kinder förderlich ist. Aktiv-entdeckendes und soziales Lernen verlangt eine ständige Durchdringung inhaltlicher und allgemeiner Lernziele und lässt sich daher nicht in einem kleinschrittigen Unterricht verwirklichen, in dem der Stoff Häppchen für Häppchen vermittelt wird und die Lösungswege sowie die äußere Form der Lösung anhand von Musteraufgaben festgelegt sind. Sinnvoll ist vielmehr eine ganzheitliche Behandlung von Rahmenthemen, z.B. des Einspluseins und des Einmaleins. Ganzheitliche Behandlung von Rahmenthemen in mehreren Durchgängen Speziell im ersten und zweiten Band gibt es Rahmenthemen, die in mehreren Durchgängen erarbeitet werden müssen. Die ersten Durchgänge dienen der Orientierung und Einführung, die weiteren der Übung, Vertiefung und Ergänzung. Bei arithmetischen Rahmenthemen steht am Schluss immer die Automatisierung. Jedes Kind kann bei diesem Vorgehen an seine individuellen Voraussetzungen anknüpfen und hat genügend Zeit um sein Wissensnetz von Durchgang zu Durchgang zu erweitern und zu festigen. Wie eingangs schon angemerkt sind Lücken bei einem Durchgang kein Hindernis für sinnvolles Lernen im nächsten Durchgang. Da der Lernprozess die Lernziele immer wieder neu und von einer anderen Seite aus ansteuert, gibt es für die Kinder genügend Möglichkeiten, um ihre Lücken allmählich zu schließen. Es besteht kein Grund zur Sorge, dass Kinder „abgehängt“ werden. Beispiel Einspluseins (Band 1) 1. Durchgang: Einführung der Addition, vor allem am Zwanzigerfeld (S. 54 – 71) 2. Durchgang: Einführung der Subtraktion am Zwanzigerfeld unter Bezug auf die Addition (S. 78 – 93) 3. Durchgang: Verzahnung von Addition und Subtraktion (S. 96 – 109) 4. Durchgang: Vertiefung des Einspluseins an der Einspluseins-Tafel (S. 114 – 119) 5. Durchgang: Weitere produktive Übungen zur Verzahnung beider Rechenarten (S. 120 – 127) 6. Durchgang (parallel zu den Durchgängen 2 – 4): Automatisierung im Blitzrechenkurs Der ganzheitliche Zugang unterscheidet sich grundlegend vom traditionellen Zugang. Für Lehrerinnen und Lehrer, die zum ersten Mal nach dem neuen Konzept unterrichten, kostet es daher Mut und Überwindung, trotz anscheinender Lücken bei Kindern im Unterricht weiterzugehen, wie es das neue Konzept verlangt. Wenn dieser Mut nicht aufgebracht wird, sind Schwierigkeiten vorprogrammiert und der Erfolg wird beeinträchtigt: Ganzheitliche Themen sperren sich gegen eine kleinschrittige Behandlung. Vorteile der ganzheitlichen Behandlung Durch die ganzheitlichen Zugänge zu Rahmenthemen wird das bewährte Prinzip „Vom Leichten zum Schweren“ keinesfalls aufgehoben. Es wird nur anders realisiert als traditionell üblich. Beim Einspluseins z. B. sind nicht nur die Aufgaben im Fünferraum leicht, sondern auch Aufgaben mit einem Summanden 1, Aufgaben „mit 5“, Aufgaben , in denen die 10 eine Rolle einnimmt oder Verdopplungsaufgaben. Es ist daher sehr sinnvoll, solche Aufgaben als erste Fäden des Netzes „Einspluseins“ zu spannen und andere Aufgaben daran anzuknüpfen. Lernen in Ganzheiten trägt auch ganz wesentlich zur Zieltransparenz bei: Die Kinder können sich schon während des Lernprozesses klar machen, was sie schon können, wo sie noch Schwierigkeiten haben und was sie noch lernen müssen. Dazu sind die Seiten im ZAHLENBUCH so konzipiert, dass jede Doppelseite einen spezifischen mathematischen Aspekt der thematischen Grundeinheit wiederspiegelt. Der ganzheitliche Zugang wird auch dadurch unterstützt, dass grundsätzlich nur Arbeitsmittel verwendet werden, die eine Gesamtübersicht über die Aufgaben ermöglichen. Beim Einspluseins z. B. sind dies das Zwanzigerfeld und die Einspluseinstafel, beim Einmaleins das Hunderterfeld mit Malwinkel und die Einmaleins-Tafel. Zone der nächsten Entwicklung Ganzheitliche Themen weisen über sich hinaus und verlocken zu Grenzüberschreitungen. Z. B. werden die Kinder vom Einspluseins ausgehend auch über 20 hinaus rechnen wollen. Dies ist zugelassen und sogar erwünscht. Wie der russische Psychologe Vygotskij in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Piaget überzeugend dargelegt hat, muss der Unterricht stets die „Zone der nächsten Entwicklung“ anpeilen. Dies bedeutet aber nicht, dass Grenzüberschreitungen eigens thematisiert werden müssten. Es genügt, sie als Denkanstöße wirken zu lassen. Wichtig ist, Grundkonzeption des ZAHLENBUCHs Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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