querdenken 4 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

9 Demokratie Wirtschaftliche Probleme Die wirtschaftliche Lage nach dem Krieg war schlecht. Es herrschten hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und vielfach Hunger. Erschwerend war, dass Österreich die Staatsschulden der ehemaligen Monarchie Österreich-Ungarn übernehmen und aufgrund der Kriegsschuld Reparationszahlungen leisten musste. Nach Auflösung der Donaumonarchie gingen viele Absatzmärkte und wirtschaftliche Grundlagen verloren: So gehörten die fruchtbaren Agrargebiete nun zu Ungarn und frühere Industrieregionen wie auch die großen Kohlevorkommen lagen in der neugegründeten Tschechoslowakei. Aufgrund dieser Situation zweifelten viele an der wirtschaftlichen, aber auch an der politischen Lebensfähigkeit der Republik. Die Anfänge des Sozialstaates in Österreich Zur Verbesserung der schwierigen Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter wurden 1919/20 Sozialgesetze beschlossen, die in Europa als fortschrittlich galten. Das waren z.B. das Verbot der Kinderarbeit, die Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages, die Invalidenentschädigung, eine staatliche Arbeitslosenunterstützung oder Urlaub für Arbeiterinnen und Arbeiter. Unter sozialdemokratischer Führung errichtete z.B. die Gemeinde Wien rund 400 Wohnbauten in der Ersten Republik. Die Wohnungen wurden modern gestaltet: direktes Licht in allen Räumen, fließendes Wasser, Toiletten, Gemeinschaftsräume, großzügige Höfe mit Grünflächen. Zudem schenkte die Stadtregierung der Gesundheitspolitik (z. B. kostenlose medizinische Versorgung, Einrichtung von Mütterberatungsstellen) und dem Bildungswesen (z.B. Errichtung von Büchereien, Schulreform) große Aufmerksamkeit (Rotes Wien). Eine wichtige politische Neuerung der Ersten Republik war die Durchsetzung bzw. Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahr 1918. Internationale Finanzhilfe für Österreich – die Völkerbundanleihe Nach Kriegsende stiegen die Preise enorm an, schließlich sogar täglich. Durch die Inflation verloren die Löhne stark an Kaufkraft und viele Menschen hungerten. Zur Bekämpfung der Inflation und Ordnung des Staatshaushalts erhielt Österreich 1922 eine Völkerbundanleihe. Der Erhalt des Geldes war u.a. an die Bedingung geknüpft, ein strenges Sparprogramm durchzuführen. Mit Jänner 1925 wurde auch eine neue Währung, der Schilling, eingeführt. Um weitere Staatsschulden zu vermeiden, wurden Steuern erhöht bzw. neue Steuern eingeführt. Etwa ein Drittel der Beamtinnen und Beamten wurde abgebaut und Löhne, Gehälter und Pensionen wurden gekürzt. P Inflation: Geldentwertung verbunden mit einer Preissteigerung P Reparation: finanzielle und wirtschaftliche Entschädigungsleistungen, die ein besiegtes Land an Siegermächte für Zerstörungen im Krieg leisten muss › Die im Friedensvertrag festgelegte Kriegsschuld und damit verbundene Maßnahmen wurden von Teilen der Bevölkerung und von einigen politischen Gruppierungen nicht anerkannt und trugen zur Entwicklung eines ungerechtfertigten Opfermythos bei. P Rotes Wien: Bezeichnung für die Zeit von 1920 bis 1934, während der die Sozialdemokratie in Wien regierte Karl-Marx-Hof, Wien, 19. Bezirk, Gemeindebau erbaut 1927–1930, ursprünglich 1.382 Wohnungen für ca. 5.000 Menschen, Foto, 2022 › Der Schilling löste die Krone ab und war von 1925 bis 1938 und von 1945 bis zum 28. Februar 2002 gesetzliches Zahlungsmittel in Österreich. Ich denke […] an den heißen Sommer des Jahres 1922, an die Zeit, wo die Krone unaufhaltsam stürzte, […] wo das Ende Österreichs gekommen schien, an die Zeit, wo der Bevölkerung die Ersparnisse, das Einkommen, der Gehalt zwischen den Fingern zerrannen […]. Das Gesetz möge dazu führen, daß dieses Geld […] ein starkes Rückgrat für unsere ganze Wirtschaft […] werde. Der Schilling sei eine gute österreichische Münze und dem Auslande gegenüber der Beweis für die Gesundung unserer Wirtschaft! Rede des Finanzministers im Parlament zum Schillingsrechnungsgesetz, Wiener Zeitung, 17.12.1924, S. 1 f. A2 • Arbeite aus der Rede die Gründe für die Einführung der Schillingwährung und die damit verbundenen Hoffnungen für Österreich heraus. • Recherchiere (z. B. im Internet) Gründe für die Einführung des Euros (2002). • Vergleiche diese mit der Schillingeinführung. (HMK) M7 T2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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