156 Gesellschaftlicher Wandel Überwindung sozialer Ungleichheit In einem sog. Sozialstaat, als der sich Österreich bis heute versteht, macht es sich das politische System zur Aufgabe, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen und allen Menschen soziale Absicherung zu bieten. Armut soll verhindert und Bürgerinnen und Bürgern, die in Not geraten, geholfen werden. Es besteht ein Anspruch auf Sozialleistungen, etwa in Fällen von Arbeitslosigkeit. Beitragszahlungen von versicherten Bürgerinnen und Bürgern werden verwendet, um Beihilfen für Familien, Arbeitslosengeld, Pensionen, Pflegegeld für pflegebedürftige Menschen und viele weitere Sozialleistungen erbringen zu können. Diese Leistungen haben sich Menschen in der Vergangenheit und Gegenwart hart erkämpft. Anfänge eines modernen Sozialstaats in Österreich Die Wurzeln der österreichischen Sozialpolitik liegen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Damals wurden wichtige Grundlagen geschaffen. Unter anderem wurde 1889 die Unfall- und Krankenversicherung für Arbeiterinnen und Arbeiter sowie für Betriebsbeamte eingeführt. Das System der Sozialversicherung besteht bis heute. Am Ende des 19. Jh. betrug die wöchentliche Arbeitszeit häufig bis zu 90 Stunden. Der harte Kampf um den Acht-Stunden-Tag dauerte viele Jahre, er wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1919, zunächst in Industrie- und Gewerbebetrieben, eingeführt. Zu einer weiteren Reduzierung der Normalarbeitszeit kam es in der Zweiten Republik: 1959 wurde die 45-Stunden-Woche eingeführt und 1975 die 40-Stunden-Woche. Für deren Verwirklichung wurde 1969 die Bevölkerung durch ein von der SPÖ durchgeführtes Volksbegehren politisch direkt miteinbezogen. Heute gilt in einzelnen Branchen eine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden. Interessenvertretungen Bei der Durchsetzung von Verbesserungen im Arbeitsbereich und der Schaffung von sozialen Maßnahmen nehmen Interessenvertretungen eine bedeutende Rolle ein. Wie du schon gehört hast, gibt es in Österreich die Sozialpartnerschaft. In dieser arbeiten große wirtschaftliche Interessensverbände – Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer Österreich (WKO), Landwirtschaftskammer (LK) und „Österreichischer Gewerkschaftsbund“ – sowohl untereinander als auch mit der Regierung eng zusammen. Dabei müssen auch immer wieder Kompromisse gefunden werden. Die Sozialpartnerschaft ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung des sozialen Friedens in Österreich. Österreich zählt zu den Ländern mit den wenigsten Streiktage seit 1945. Die Bedeutung der Sozialpartnerschaft und ihr Einfluss auf die Politik in Österreich seit der Nachkriegszeit sind groß. Viele der Funktionärinnen und Funktionäre waren bzw. sind in politischen Parteien tätig, sind Abgeordnete zum Nationalrat oder auch Regierungsmitglieder. P Sozialversicherung: staatlich geregeltes Versicherungssystem, in dem für wichtige Risiken des Daseins wie z. B. Krankheit, Mutterschaft, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Arbeitslosigkeit durch Beitragszahlungen der Versicherten als auch durch Steuermittel vorgesorgt wird Plakat „Mehr Freizeit für Sie“, Volksbegehren der SPÖ für die Einführung der 40-Stunden-Woche 1969. Etwa 890.000 Menschen unterschrieben das Volksbegehren. 1975 wurde die Forderung im Arbeitszeitgesetz umgesetzt. O Demokratie, S. 16 Streik der Metaller in Linz, Foto, 2011 A5 • Beurteile den Nutzen der sozialen Errungenschaften für die Menschen heute. • Recherchiere zu Gehaltsverhandlungen der Sozialpartner, die in jüngerer Vergangenheit stattgefunden haben. • Diskutiert in der Klasse die Bedeutung von mehr Freizeit für die Bevölkerung. (AW, PUK) T1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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