querdenken 3 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

151 Migration Übungsteil Einwanderung nach Österreich heute O Seite 144 • Lies die Geschichten von Khedi und von Schahwali aufmerksam durch. • Verfasse anschließend einen kurzen Brief, in dem du ihnen Fragen zu Herausforderungen bei der Integration in Österreich stellst. (HFK, LK) Ü4 Die 15-jährige Khedi B. ist in Tschetschenien in einem großen Haus mit Garten gemeinsam mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern aufgewachsen. Sie hatte dort ein eigenes großes Zimmer mit Computer und Fernseher. Aber das Leben war aufgrund des Krieges sehr schwierig. Ihre Familie musste aus politischen Gründen aus Tschetschenien flüchten. In der Schule lernte sie neben ihrer Muttersprache Tschetschenisch auch Russisch. Khedi spricht auch ein bisschen Englisch und Spanisch. Deutsch hat sie in Österreich gelernt. Khedi war zwölf Jahre alt, als sie mit ihrem fünfjährigen Bruder nach Österreich flüchtete. Ihre Mutter, eine Ärztin, war mit Khedis Schwester, die eine Behinderung hat, schon vorher geflüchtet. Die Familie lebt gemeinsam in einer Asylunterkunft in der Nähe von Wien. Seit kurzem sind sie anerkannte Flüchtlinge und übersiedeln bald in eine eigene Wohnung. Bei ihrer Ankunft wurde sie vor allem von ihrer um ein Jahr älteren Cousine unterstützt, die auch flüchten musste. Sie half ihr beim Deutschlernen und in der Schule, denn das erste Jahr war sehr schwierig. Die beiden sind nicht nur Cousinen, sondern auch beste Freundinnen und reden miteinander über alles: „Ich finde, wenn man schon einmal Schmerzen erlitten hat, dann weiß man besser, wie es anderen Menschen geht, und man kann sie besser verstehen“, sagt ihre Cousine. Khedi empfindet das auch so. In der Schule hat ihr auch ein Klassenkamerad, der ebenfalls Tschetschenisch spricht, geholfen. Er hat für sie immer wieder übersetzt. Ihr war es besonders wichtig, rasch Deutsch zu lernen – nicht nur wegen der Schule, sondern auch um Freundinnen und Freunde zu finden. Das ist ihr nach einem Jahr auch gelungen. In ihrer Freizeit fotografiert Khedi gerne. Sie möchte einmal Fotografin werden. Ihre Mutter will jedoch, dass sie vorher einen „richtigen“ Beruf erlernt. Handy, SMS, Facebook und Skype sind ihr sehr wichtig, da sie so mit ihren Freundinnen und Freunden in Tschetschenien in Kontakt bleiben kann. Khedi wünscht sich für die Zukunft, „dass ich die Menschen, die mir viel bedeuten, nicht verliere, dass meine behinderte Schwester wieder gesund wird und Frieden für die Welt.“ Aufbrechen, Ankommen, Bleiben, S. 13 Schahwali W. wurde 1990 in einem Dorf in Afghanistan geboren, nahe der pakistanischen Grenze. Er spricht Deutsch, Englisch, Urdu, Dari und Pashto. Seine Kindheit verbrachte Schahwali mit seinem Vater und seinen vier Brüdern in einem großen Haus mit Garten: „In diesem kleinen Dorf war unser Leben, da haben wir alles gehabt.“ Als Jugendlicher begann er, sich mit Freunden aktiv für die Menschenrechte in Afghanistan einzusetzen. Doch besonders sein Engagement gegen die Zwangsheirat von minderjährigen Mädchen brachte ihn immer mehr mit den Mullahs (islamischen Geistlichen) in seiner Umgebung in Konflikt: Als er bedroht wurde und drei seiner Kollegen ermordet wurden, flüchtete Schahwali. Mit dem Flugzeug kam er von Afghanistan in die Türkei und wurde dann, versteckt in einem LKW, von einem Schlepper bis nach Mitteleuropa gebracht. Nach einer längeren Reise kam er in Österreich an und verbrachte seine erste Zeit in der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen und wurde dann in eine Unterkunft für Asylwerberinnen und Asylwerber nach Oberösterreich überstellt. Schahwali war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt. Die ersten Monate waren furchtbar für ihn: Er war der einzige Afghane im Heim, sprach kein Wort Deutsch und konnte mit niemandem reden, „nur essen und schlafen.“ Doch dann fand er durch einen Bekannten eine kleine Wohnung und zog nach Niederösterreich: „Mit 290 Euro Grundversorgung pro Monat musste ich nun alles bezahlen: Miete, Strom, Gas, Essen, Kleidung, einfach alles.“ Es war knapp, aber Schahwali fühlte sich besser. Entschlossen Deutsch zu lernen, erkundigte er sich bei der Caritas nach Kursen und bekam einen kostenlosen Deutschkurs bei einer Hilfsorganisation. Er lernte die Sprache schnell und fühlte sich dank seiner Deutschlehrerin, die ihn auch bei vielen anderen Problemen unterstützte, schon bald besser. Ursprünglich wollte er studieren, doch da sein Schulabschluss nicht anerkannt wurde, begann Schahwali eine Lehre als Zahntechniker. Es war ihm wichtig, mit seinem Job später anderen Menschen helfen zu können. Heute lebt Schahwali in Wien. Er hat derzeit subsidiären Schutz, aber kein Asyl. Er schätzt die Freiheiten und Rechte, die er in Österreich hat. Sein größter Wunsch wäre, „dass ich die Sicherheit hätte, hier bleiben zu können. Ich habe einfach keine Energie, keine Kraft mehr, noch einmal irgendwo in einem anderen Land […] mein Leben aufzubauen.“ Aufbrechen, Ankommen, Bleiben, S. 16 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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