querdenken 3 - Geschichte und politische Bildung, Schulbuch

142 Migration Österreich – ein Einwanderungsland? Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter Zu Beginn der 1960er-Jahre hatten nur rund 1,5% der in Österreich lebenden Bevölkerung eine ausländische Staatsangehörigkeit. Die Wirtschaft entwickelte sich in dieser Zeit gut. Das führte dazu, dass viele Unternehmen über Arbeitskräftemangel klagten. Einige europäische Regierungen entschieden sich daher dazu, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben, so auch die österreichische. Zu diesem Zweck wurden mit Spanien (1962), der Türkei (1964) und Jugoslawien (1966) „Anwerbeabkommen“ geschlossen. Geplant war, dass die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur für kurze Zeit in Österreich bleiben. Nach wenigen Jahren sollten sie wieder nachhause geschickt und durch neue Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter ersetzt werden („Rotationsprinzip“). Dieses Prinzip erwies sich als ungünstig. Für die österreichischen Unternehmen wäre diese Lösung jedes Mal mit neuen Anlernkosten verbunden gewesen. Daher blieben viele „Gastarbeiter“ in Österreich, gründeten hier eine Familie oder holten ihre Familien nach. Zu Beginn der 1970er-Jahre gab es aufgrund der Wirtschaftskrise einen Anwerbestopp. Die ausländischen Arbeitskräfte hatten schwierige Lebensbedingungen in Österreich. ››Der Begriff „Gastarbeiterin“ bzw. „Gastarbeiter“ stammt aus den 1950er- und 1960er-Jahren und löste die bis dahin üblichen Bezeichnungen (z. B. „Fremdarbeiterin“ bzw. „Fremdarbeiter“) ab. So bezeichnete man jene ausländischen Arbeitskräfte, die im Zuge des Rotationsprinzips nach Österreich kamen. Das Wort „Gast“ meint einen Menschen, den man eingeladen hat, über dessen Anwesenheit man sich freut und der einen wieder verlassen wird. Allerdings wurden diese Arbeitskräfte nicht wirklich gastfreundlich aufgenommen und viele von ihnen blieben ab den 1970er-Jahren dauerhaft. Der Begriff ist daher umstritten. Gastarbeiter am Wiener Südbahnhof, Foto, 1970 Gastarbeiterwohnung in WienOttakring, Foto, 1972 O S. 150, Ü3 Mein Vater war einer der Ersten, die als „Gastarbeiter“ nach Österreich gekommen sind. Ursprünglich dachte er, wie viele andere auch, er würde nur wenige Jahre in Österreich arbeiten und dann nach Hause zurückkehren. Aber die Reise verlief anders. Er wurde amWiener Südbahnhof von Mitarbeitern einer Baufirma empfangen, für die er gleich in den nächsten Tagen zu arbeiten anfing. Besuchen konnte er uns in der Türkei für zwei Monate imWinter und jedes zweite Jahr auch im Sommer. Von seiner Arbeitsstätte erzählte er überhaupt nicht. Nur von einer „leichten Arbeit“ war die Rede. Auch über seine Wohnsituation sagte er nichts. […] Er hatte beim Militär […] lesen und schreiben gelernt. Und das Fotografieren. Aus Österreich schickte er uns ab und zu ein Foto, das entweder in einem Rosengarten – ich sollte es erst viel später erfahren – in der Nähe des Südbahnhofs oder vor einer Statue im Garten des Schlosses Belvedere aufgenommen worden war. Oder indem er sich neben ein tolles Auto hinstellte und fotografieren ließ […]. Diese Fotos waren ein Kommunikationsmittel zwischen ihm und uns im Dorf. […] Nachdem mich mein Vater 1981 nach Österreich gebracht hatte, habe ich seine Lebenssituation aus der Nähe erleben können. Nach meiner Ankunft wohnten wir – er, sein Arbeitskollege und ich – zu dritt in einem Zehn-QuadratmeterZimmer des Arbeiterwohnheims. […] Ich habe das Fotografieren von meinem Vater gelernt. Und ich hielt diese Welt, die mit jener auf seinen nach Hause geschickten Fotos voller Blumen und Paläste nichts zu tun hatte, auf Fotos fest. […] Emir, Mein Vater und ich, in: Gastarbajteri, 2004, S. 158 f. A3 • Analysiere eine Bild- und die Textquelle Schritt für Schritt. • Bringe die Quellen miteinander in Verbindung. • Formuliere eine mögliche Begründung zum Verhalten des Vaters. • Verfasse einen kurzen Text aus der Sicht des Vaters über seine Lebenssituation in Österreich. (HMK) M1 M7 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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