Vielfach Deutsch 2, Leseheft

nicht nur abwechselnd, sie kochen auch gemeinsam. Gemeinsam! Das muss man sich erst einmal vorstellen. Wenn man gemeinsam kocht, kann man sich nicht bald scheiden lassen, davon ist Zara überzeugt. Als nächster Verdächtiger stand der Hund auf der Liste. Ein Terrier. Ziemlich rattig und vielleicht irgendwann einmal weiß, aber schon lange nicht mehr. Das war ein Indiz, auf das Zara im ersten Moment richtig stolz war. Vielleicht war er ja schon so alt, dass er bald ins Gras beißen würde. Und wenn man mit einem Hund aufwächst, hat man ihn wahrscheinlich ganz gern und will ihn nicht verlieren, auch wenn er verlottert ausschaut. Leider ist der Hund zu agil, um bald eines natürlichen Todes zu sterben, und Zara musste auch diesen Punkt von ihrer Liste streichen. Ihr dritter Verdacht war die Schule. Langweilig und trotzdem immer noch Grund vieler schlafloser Teenager-Nächte. Aber es passt irgendwie nicht. Das Winter-Halbjahr hat erst vor Kurzem begonnen, und in Zaras Klasse stehen die ersten Schularbeiten erst in ein paar Wochen an. Es ist zu früh, um sich deshalb fertigzumachen. Selbst wenn man Angst hat und Mitglied im „Team sitzen bleiben“ ist, würde man höchstens zwei Tage vor einer Arbeit die Krise kriegen. Eher überhaupt erst danach. Auch davon ist Zara überzeugt. Wenn jemand aus der Familie gestorben wäre, wären die Eltern auch trauriger, aber die sind quietschfidel. Eventuell ist einem Freund oder einer Freundin von ihm etwas passiert, was die Eltern weniger berührt. Diese Variante hält Zara auch immer noch für ein klein wenig plausibel, aber sie hat den Jungen genau beobachtet, und gestern wirkte er ganz normal. Wenn man um jemanden trauert, ist man immer traurig. Zara erinnert sich noch genau daran, als ihr Opa gestorben ist. Da war es nicht einen Tag so und einen Tag so, sondern da war ein riesiger Berg aus Traurigkeit, aus dem sie sich nach und nach freischaufeln musste. Also eher unwahrscheinlich. Bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder: Er wollte nicht umziehen und vermisst sein altes Leben. Seine Freunde, den Weg zur Schule, die Bäckerei ums Eck und so weiter. Oder: Er hat Liebeskummer. Dass man nicht umziehen will, ergibt durchaus Sinn, aber wenn das der Grund wäre, hätte er schon viel früher schlechte Laune haben müssen. Die zeitversetzte Reaktion kommt ihr komisch vor. Außerdem, und darauf ist Zara fast noch stolzer als auf das mit dem Hund, hängt in seinem Zimmer ein Poster vom Sommerfest von vor zwei Jahren. Das mit dem Eisbären und der Sonnenbrille drauf, von dem sie selbst eines in einer Schublade liegen hat. Sprich, er ist nicht von irgendwo hergezogen, sondern wohnt schon länger in der Stadt. So traurig kann einen das dann ja wohl wirklich nicht machen. Der heißeste Tipp ist also Liebeskummer. Ebenfalls langweilig und ebenfalls Grund von Schlaflosigkeit. Darüber weiß Zara ein bisschen Bescheid und so liegt sie immer noch wach, nachdem das Licht im Zimmer gegenüber schon lange ausgeschaltet ist. 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 Buchtipp Agnes Ofner: Nicht so das Bilderbuchmädchen. Verlag Jungbrunnen, Wien. Gegenüber von Zara wohnt Sam. Sie kann ihn von ihrem Zimmer aus beobachten. Sam weint oft. Die beiden lernen sich über Botschaften näher kennen. Langsam versteht Zara, warum Sam so traurig ist. Aus: Agnes Ofner: Nicht so das Bilderbuchmädchen. Jungbrunnen, Wien 2019 (gekürzt). 9 Unterschiedliche Perspektiven erkennen 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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