Erzählungen aus vergangenen Zeiten Einen Augenblick blieb es still. Schon wollte der greise Nestor als Erster in das dunkle Verlies klettern, als sich dreißig Helden, so viel nur eben hineingingen, zugleich meldeten. […] Auch der Mann hatte sich gefunden, der zurückbleiben, sich unter dem Pferd verbergen und die Trojaner überlisten sollte. Er hieß Sinon und hatte nicht nur den Mut, sondern auch den nötigen Witz, um seine Aufgabe zu meistern. Nun brachen die Griechen ihr Lager ab, verbrannten, was sie nicht mitnehmen wollten, und segelten im Schutze der Nacht ab. Die dreißig Helden saßen im finsteren Bauch des hölzernen Pferdes, schweigend und wartend zwischen Tod und Sieg. Die Wachen der Trojaner hatten wohl die vielen Feuer im Griechenlager bemerkt. Doch als der Tag anbrach und sie das Ufer leer fanden von Zelten und Schiffen, trauten sie ihren Augen nicht, zu sehr hatten sie sich in zehn langen Jahren an den Anblick des Feindes gewöhnt. Doch es war wirklich so: Die Griechen waren weg! Voller Freude strömten die Trojaner in Scharen dem Ufer zu, aber sie vergaßen nicht ihre Waffen mitzunehmen. Mitten auf dem Platz, der im Griechenlager zur Versammlung des Volkes gedient hatte, fanden sie das riesige hölzerne Pferd. Staunend umringten sie das gewaltige Bauwerk und rätselten, wozu es gedient haben mochte und was man wohl damit anfangen solle. Die einen wollten es verbrennen oder ins Meer werfen, die ande76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 ren rieten, es in die Stadt zu schaffen oder als Siegesmal aufzustellen. Da erhob Laokoon, der Priester Apollons, warnend seine Stimme. „Ihr kennt doch die falschen Griechen und den hinterlistigen Odysseus!“, rief er. „Glaubt ihr wirklich, sie hätten euch ein Abschiedsgeschenk hinterlassen? Tod und Verderben birgt das Ungetüm – traut ihm ja nicht!“ Und er nahm dem nächstbesten Krieger den Speer aus der Hand und stieß ihn gegen den Bauch des Monstrums. Dumpf dröhnte es und aus der Tiefe ertönte ein Widerhall wie aus einem Gewölbe. Aber die Trojaner merkten auch jetzt nichts. Inzwischen hatten ein paar Soldaten den zitternden Sinon unter dem Pferd hervorgezogen. Er wurde sogleich vor den König Priamos gebracht und erzählte mit bewegter Stimme sein Lügenmärchen. Er spielte seine Rolle so gut, dass die Trojaner Mitleid mit ihm hatten. Und als er sagte: „Sie haben das Pferd so groß gemacht, damit ihr es nicht durch das Tor in eure Stadt bringen könnt; denn sonst könnte Athene, die immer eure ärgste Feindin war, sich noch mit euch versöhnen“, da stand fest, dass das Pferd in die Stadt geschafft werden musste. Und sie befestigten eilig Räder unter dem Koloss, zogen ihn mit langen Seilen zur Stadt und rissen ein Stück Mauer ein, um das Riesentier hineinbringen zu können. Rumpelnd holperte es über das Pflaster. Klirrte es nicht wie Erz im Bauch des Untiers? Doch das Geräusch ging unter im Jubel des Volkes, im Triumph zogen sie das hölzerne Pferd hinauf in die heilige Burg Pergamos. […] Quelle: Hühnerfeld, Paul: Der Kampf um Troja 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 Besprecht in der Klasse, wie Odysseus den Rat Kalchas’ in die Praxis umsetzt. Markiere den Satz, der die Trojaner in ihrer Ehre trifft und sie dazu bringt, das Pferd in die Stadt zu ziehen. Schreibe eine Bauanleitung für ein hölzernes Pferd aus Holzstückchen oder Streichhölzern. C 1 2 3 N 45 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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