Kristina Dunker: Letzte Wende Jetzt keine Zeit nachzudenken. Wir steigen auf die Startblöcke. Jemand wünscht uns Glück. Ich weiß nicht, ob ich welches will. Rike neben mir lacht, ein flatterndes, viel zu lautes Lachen, sie kann ihre Nervosität nicht überspielen. Sie kann’s auch nicht lassen, mir vor dem Start noch einen Blick zuzuwerfen: Lässt du mich nicht gewinnen, warst du die längste Zeit meine Freundin! Sie meint es ernst. Es geht um mehr als den Sieg bei den Stadtmeisterschaften. Mein Fehler war, ihr in den Schwimmverein zu folgen. Als ich in ihre Welt aus Chlorgeruch, nassen Haaren und Fußpilzdesinfektionsspray eindrang, als ich lernte meinen Kraulstil zu verbessern, kräftiger und schneller wurde, muss sie das wie eine Eroberung ihres Reviers empfunden haben. Sie hatte das Schwimmen schließlich für sich zuerst entdeckt. Sie hatte zuerst von unserem Trainer gesagt bekommen, dass sie Talent habe, sie hatte zuerst eine Urkunde mit nach Hause gebracht und damit angegeben. Wenn ich schon in der Schule stets die Bessere war, dann wollte sie es wenigstens im Sport sein. Dabei hatte ich gar nicht mit dem Training begonnen, um sie zu überholen, ihr etwas wegzunehmen. Ich hab einfach gedacht, es wäre schön, wenn wir noch mehr zusammen unternehmen würden. Ich war einfach begeistert, wenn ich mit ihr zusammen war. Rike war eines der beliebtesten Mädchen in der Schule, neben ihr herzugehen war schon eine Ehre, gar mit ihr befreundet zu sein gab mir das Gefühl von Stärke und Unverwundbarkeit. Das Beste aber war, mit ihr die Nachmittage zu verbringen, an ihren verrückten und fantastischen Ideen teilhaben zu dürfen, mit ihr leidenschaftlich von einer Pop-Band zu schwärmen und sich nachher vorzustellen selbst eine zu gründen, zu träumen, einfach 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 Spaß zu haben. Schon als Kinder angelten wir in Regenpfützen nach Fischen, bauten in der großen Kastanie Baumhäuser, versteckten junge Kätzchen vor unseren Eltern, zelteten im Garten, tauschten unsere Zahnspangen und bemalten das gelbe Auto von Rikes Bruder an seinem Geburtstag mit roten Lippenstiftherzchen. Wir waren eben Blutsschwestern, treu und unzertrennlich. „Auf die Plätze!“ Hör auf zu grübeln. Konzentrier dich. Kontrollier deinen Herzschlag, deine Muskeln. Bleib locker. Guck nicht zur Tribüne, nicht zum Trainer, nicht zu Rike. Mit einem verpassten Start ist das Rennen so gut wie verloren. Verloren hab ich so oder so. Als wir in die Realschule kamen, freundete ich mich mit einem anderen Mädchen an und, obwohl ich stets darauf achtete, zu dritt und nicht ohne Rike etwas zu unternehmen, dauerte es keine zwei Wochen, bis Rike nicht mehr mit mir sprach. Dadurch, dass ich noch eine zweite Freundin hatte, schien ich für sie gestorben. Ich schrieb ihr, versuchte mit ihr zu reden, es half nichts. Erst als ich schweren Herzens die andere Freundin abschob, kam Rike langsam zurück. Nicht ohne mich ordentlich zappeln zu lassen, nicht ohne mir zu zeigen, dass ich es war, die um ihre Gunst zu kämpfen hatte, und nicht umgekehrt. Und wie ich kämpfte! Und wie ich froh war, als Rike sich endlich zum ersten Mal wieder zum Eisessen einladen ließ! Aber wofür, wenn ich jetzt alles aufs Spiel setze? Ich möchte vom Start zurücktreten, erklären, dass meine Teilnahme an den Meisterschaften ein Missverständnis, ein Irrtum sei, 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 36 Eine Freundschaft auf Probe – Über Inhalte nachdenken und sich eine Meinung bilden Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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