Treffpunkt Deutsch 2 - Deutsch Sprachlehre, Leseheft

Was soll es bedeuten? – Die Lehre in Fabeln entdecken Gianni Rodari: Die Geschichte vom jungen Krebs Ein junger Krebs dachte bei sich: „Warum gehen alle Krebse in meiner Familie immer rückwärts? Ich will vorwärts gehen lernen, so wie die Frösche, und mein Krebsschwanz soll mir abfallen, wenn ich es nicht fertigbringe.“ Und heimlich begann er, zwischen den großen Steinen seines heimatlichen Bächleins zu üben. […] Als er seiner Sache sicher war, stellte er sich vor seine Familie und sagte: „Jetzt schaut mir einmal zu!“ Und machte einen ganz prächtigen kleinen Lauf vorwärts. „Sohn“, brach da seine Mutter in Tränen aus. „Bist du denn ganz verdreht? Komm doch zu dir – gehe so, wie es dich dein Vater und deine Mutter gelehrt haben. Geh’ wie deine Brüder, die dich alle lieben.“ Seine Brüder jedoch lachten ihn nur aus. Der Vater schaute ihn eine gute Weile streng an und sagte dann: „Schluss damit! Wenn du bei uns bleiben willst, gehe wie alle Krebse. RÜCKWÄRTS! Wenn du aber nach deinem eigenen Kopf leben willst – der Bach ist groß –, geh fort, und komm nie mehr zu uns zurück!“ Der brave junge Krebs hatte die Seinen zwar zärtlich lieb, war aber so sicher, er handle richtig, dass ihm nicht die mindesten Zweifel kamen. Er umarmte seine Mutter, sagte Lebewohl zu seinem Vater und zu seinen Brüdern und machte sich auf in die Welt. Als er an einem Grüppchen Kröten vorüberkam, erregte er großes Aufsehen. […] „Jetzt geht die Welt verkehrt herum“, sagte eine dicke Kröte, „schaut euch nur diesen jungen Krebs an! Da müsst ihr mir recht geben!“ „Ja, Respekt gibt es überhaupt nicht mehr!“, sagte eine andere. […] Plötzlich hörte er, wie ein alter Krebs, an dem er vorüberging, rief. Der sah ganz melancholisch aus und hockte allein auf einem Stein. „Guten Tag“, sagte der junge Krebs. Der Alte betrachtete ihn lange, schließlich sagte er: „Was glaubst du, was du da Großartiges anstellst?! Als ich noch jung war, wollte ich auch den Krebsen das Vorwärtsgehen beibringen. Sieh mal, was mir das eingebracht hat! – Ich muss ganz allein leben, und die Leute würden sich lieber die Zunge abbeißen, als ein Wort an mich richten. – Hör auf mich, solange es noch Zeit ist! Bescheide dich, lebe wie die anderen! Eines Tages wirst du mir für meinen Rat dankbar sein!“ Der junge Krebs wusste nicht, was er antworten sollte und blieb stumm. Aber im Inneren dachte er: „Ich habe doch recht! Ich habe recht!“ Und nachdem er den Alten höflich gegrüßt hatte, setzte er stolz seinen Weg fort. Ob er weit kommt? Ob er sein Glück macht? Ob er alle schiefen Dinge dieser Welt gerade richtet? Wir wissen es nicht, weil er noch mit dem gleichen Mut und der gleichen Entschiedenheit dahinmarschiert wie am ersten Tag. Wir können ihm nur von ganzem Herzen „Gute Reise“ wünschen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 Welche Lehre würdest du dieser Fabel zuordnen? • Wer es macht, wie alle anderen, kommt weiter im Leben. • Wer anders ist, wird von allen beneidet. • Wer von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt ist, soll es wagen. Begründe deine Entscheidung. Besprecht in der Klasse, wie ihr die Lehre dieser Fabel in euren Alltag übertragen könnt. 1 C 2 Quelle: Rodari, Gianni: Gutenachtgeschichten am Telefon 24 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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