Lesestrategien und Lesetechniken trainieren 11 Lies den nächsten Abschnitt. Ist Bölle wichtig für den weiteren Fortgang der Handlung? Ist er auf der Seite des Ich-Erzählers oder sein Gegner? Was vermutest du? Als ich zum Schuppen ging, um Holz für den Kamin zu holen, sah ich Nachbar Bölle auf dem Balkon. Er war im Morgenmantel und trug einen Schal um den Hals. Die Pelzhaube auf dem Kopf reichte weit über Ohren und Stirn. Geistesabwesend starrte er in die Ferne, als sähe er ein schreckliches Bild. Dann rieb er sich vergnügt die Hände und lachte lautlos in sich hinein. „Glauben Sie, dass es ernst wird?“, rief ich zu ihm hinauf. Doch er antwortete nicht, sondern wies mit der Hand zum Himmel und schüttelte drohend die Faust. Auf welche Wörter in dem Abschnitt stützt du deine Vermutungen? Unterstreiche sie! Lies den nächsten Abschnitt. Wie geht es dir – machst du dir auch keine Gedanken mehr über Baumann? Was hast du bis jetzt über den seltsamen Nachbarn erfahren, und worauf deutet das hin? Er lachte schrill auf, als wär’ er nicht richtig im Kopf, schüttelte wieder die Faust und wandte sich langsam ab. […] Bevor aber Bölle ins Zimmer zurückging, fiel mir sein Gesicht auf: Es war merkwürdig weiß, wie mit Raureif bedeckt; als hätte Bölle die Nacht im Eisschrank verbracht. […] Während ich ihm nachsah, fuhr ein scharfer Windstoß durch den Garten. Die großen Fichten am Zaun bogen sich, die Kellertür fiel krachend ins Schloss. Ich packte die Holzscheite in den Korb und wollte gerade den Schuppen abschließen, als mir auffiel, dass die Fenster vom Nachbarhaus über und über mit Eisblumen bedeckt waren – als ob Bölle weiße Gardinen vorgezogen hätte. Die Scheiben der anderen Häuser waren eisfrei, und auch bei mir zeigten die Fenster nur blankes Glas. „Merkwürdig“, dachte ich […] und machte mir keine Gedanken mehr über Bölle. Welche Zusammenhänge kannst du zwischen seinem Gesicht und den vereisten Frostscheiben erkennen? Welche Schlüsse ziehst du daraus? Lies den nächsten Abschnitt. Erinnerst du dich noch an das Wort „totenstill“? Was ist daraus jetzt geworden? Es war zehn Uhr morgens, als das Kältegewitter begann, und es hielt noch am Abend an. Schon seit Mittag war der Himmel blauschwarz, es wurde früher dunkel als sonst. Der eisige Nordwind trieb die Flocken in dichten Staffeln heran, deckte Rasen und Beete zu und häufte im Garten Verwehungen auf. Ich stand am Fenster und blickte in das tosende Grau. Wo am Morgen noch Büsche und Beete gewesen waren, konnte man nur noch Hügel erkennen, die kahlen Gräbern glichen. Der Garten war zu einem Friedhof geworden, die Schneelast erstickte alles Leben. Die Tannen am Zaun hatten sich in weiße Gestalten verwandelt und sahen wie Riesen in Tarnanzügen aus, die lauernd auf Wache standen. Fuhr der Wind hindurch, bewegten sie die schweren Glieder, als rückten sie unmerklich auf das Haus zu. Im Dunkel schlossen sich die Reihen, die Mauer wurde undurchdringlich und hoch. Das Haus glich einer Festung – eine lange Belagerung stand bevor. Quelle: Kabermann, Friedrich: Moira – Die Reise zum Nullpunkt der Welt, S. 11f. In diesem Abschnitt geht es um „Riesen in Tarnanzügen, die lauernd Wache stehen“. Sind sie vielleicht ein Hinweis darauf, wie dieses Kältegewitter zu erklären ist? Und wirklich, das nächste Kapitel trägt die Überschrift „Die Invasion der weißen Riesen“. 4 10 12 14 5 6 16 18 20 22 7 8 24 26 28 30 32 34 36 9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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