Treffpunkt Deutsch 1 - Deutsch Sprachlehre, Leseheft

vorhin sein Schrei in der Tiefe. Da ist kein Mensch weit und breit, die sind alle fort, schießt es Patrick durch den Kopf. Seltsame Geräusche umtanzen plötzlich seine Sinne, der Wind säuselt in den Baumkronen, wimmert in den Steinritzen, als hätte er selber Angst. Patrick rast den Hügel hinunter, das Nachtblau hat jetzt sogar den Weg ausgelöscht. Patrick weint und keucht und weint und läuft. Zweige und scharfkantige Blätter ritzen die Haut an seinen Beinen auf, zerkratzen ihm das Gesicht. Wieder im Tal, vernimmt er als Erstes ein vielstimmiges Gelächter. Es hämmert laut und grell an seine Ohren, tut ihm im ganzen Körper weh. Dann preschen sie von allen Seiten hinter der großen Kastanie hervor. Reglos steht Patrick mitten unter ihnen, keucht vom Laufen und von der Angst, die er jetzt langsam abstreift und die einer tiefen Enttäuschung Platz macht. […] Eine Weile bleibt er so stehen, schaut einen nach dem anderen an. „Ihr seid gemein“, murmelt er. Plötzlich geht er langsam auf Jennifer zu, schaut ihr jetzt fest in die Augen. „Du bist genauso gemein wie die anderen“, sagt er laut. „Tut mir leid“, antwortet Jennifer sehr leise. „Aber du weißt, wie das ist, wenn man nicht mitmacht. Die Bande ist die Bande. So sind die Regeln!“ Einige nicken stumm. Jennifer entdeckt die blutigen Schrammen auf Patricks Wangen, fährt mit den Fingerspitzen darüber. „Wie schaust du denn aus?“, sagt sie. „Nimm die Hand weg!“, faucht Patrick. Er schlägt ihr auf die Finger. Die anderen sind noch immer still, beobachten gespannt die Szene. „Na, na“, sagt Jennifer unsicher. „So böse brauchst du auch nicht gleich zu sein.“ „Hast du den Stein, Patrick?“, fragt David plötzlich. „Nein“, sagt Patrick. Lügen wird er nicht. Er hätte den Stein ebenso gut beim Laufen verloren haben können. Aber die sind nicht einmal eine Lüge wert … „Du bist schließlich der Feigling“, wehrt sich Jennifer plötzlich. „Nicht ich. Ich mach nur mit den anderen mit!“ „Eben!“, sagt Patrick geringschätzig. Er macht eine Pause, schaut sie alle an, wie sie dumm grinsend und manche verlegen um ihn herumstehen. „Eben!“, wiederholt Patrick zu Jennifer gewandt. „Und deshalb, weil du dich nicht getraut hast, auf mich zu warten, bist du der Feigling. Und eine Lügnerin noch dazu. Jeder von euch ist ein Lügner!“, schreit Patrick wütend in die Runde. „Immerhin, ich bin auf dem Hügel gewesen. Und sogar drinnen im Turm. Tief unten. Wie ausgemacht. Ich bin kein Feigling, merkt euch das! Ich hab’ s versucht und ich hab euch vertraut. Aber auf eine solche Bande pfeif ich!“, ruft Patrick. Dreht sich um, geht geradewegs an ihnen vorbei und verschwindet im Stiegenhaus. Quelle: Evelyne Stein-Fischer: Angsthase & Co. Geschichten vom Mutmachen. Wien: Ueberreuter Verlag, 2001 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 408 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 Mancherlei Texte Die Angst hat Patrick „mit einer riesigen Zange gepackt“. Überlege, wie man dieses „Bild“ erklären kann. Besprecht eure Überlegungen in der Klasse. Überlege dir drei Bilder, die darstellen können, wie sich Angst anfühlt. Beschreibe sie im Heft. Markiere im Text die Stelle, an der eine Veränderung im Verhalten von Patrick zu erkennen ist. Beurteilt im Zweiergespräch, ob Patrick seine Mutprobe bestanden hat. Begründet eure Meinung. Begründet, wer in der Geschichte eurer Meinung nach ein Feigling ist und wer nicht. Erklärt, wer Mut beweist und wer nicht. Schreibe die Ergebnisse und die Begründungen, die das Klassengespräch zur Aufgabe 5 ergeben hat, in dein Heft. Stell dir vor, du bist Jennifer. Schreib Patrick einen Brief, in dem du dich entschuldigst und deine Gefühle erklärst. 1 C N 2 3 B 4 C 5 N 6 7 N 59 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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