Manfred Mai: Eine schöne Geschichte Gestern habe ich mal wieder eine schöne Geschichte gelesen, über die ich mich richtig ärgern musste. Und seit heute Morgen weiß ich endgültig, dass sie nicht stimmt. Doch bevor ich erzähle, weshalb sie nicht stimmt, will ich euch die Geschichte schnell vorlesen. Mein Name ist Günther Bärlin. Ich bin elf Jahre alt und wohne im Ruhrgebiet. Da arbeiten viele Türken. Ihre Kinder gehen mit uns in die Schule. Auch in meiner Klasse ist ein Türke. Er heißt Arkan. Der gefiel mir sofort. Ich hätte mich gern mal mit ihm unterhalten, über die Türkei und wie es dort ist. Aber Hans Endrainer, der stärkste Junge in unserer Klasse, hatte etwas gegen Türken. Deshalb hat er uns verboten, mit Arkan zu reden. Und weil wir alle Angst vor Hans hatten, taten wir, was er wollte. Dabei konnte ich den Hans eigentlich nie leiden. Er hat immer Kleinere und Schwächere geärgert und gequält, besonders den Harald Bühler. Harald Bühler konnte sich nicht wehren, weil er kaum Muskeln hat. Und krank ist er auch oft. So einen zu ärgern fand ich gemein. Aber jetzt ist es damit vorbei. Jetzt hat Hans Endrainer endlich eine aufs Dach bekommen. Darüber bin ich froh. Am Mittwoch kam er mit einem Blasrohr in die Schule. Gleich in der ersten Stunde wollte er es ausprobieren. Da hatten wir Deutsch bei Herrn Kleiner, und der versteht in solchen Dingen keinen Spaß. Als Herr Kleiner etwas an die Tafel schrieb, schoss ihm Hans ein Papierkügelchen an den Hinterkopf. „Wer war das?“, brüllte Herr Kleiner. Natürlich meldete sich niemand. „Na gut, dann schreibt ihr bis morgen alle die Erzählung ab, die wir eben gelesen haben.“ Alle sahen Hans an. Auf einmal hob er langsam die Hand und sagte: „Der Harald war’s.“ Es wurde ganz still in der Klasse, bis Harald zu heulen anfing. Da rief Arkan von hinten so laut, dass es jeder hören konnte: „Ist gelogen! War nicht Harald, war Hans!“ Alle haben ihn ganz erstaunt angestarrt. Der hat Mut, dachte ich. Hans bekam eine lange Strafarbeit und platzte fast vor Wut. Gleich nach der Stunde rannte er auf Arkan zu und wollte auf ihn einschlagen. Da haben ich und ein paar andere ihn festgehalten. Jetzt hat er nichts mehr zu sagen in der Klasse. Niemand will mehr etwas mit ihm zu tun haben. Aber mit Arkan reden und spielen jetzt alle. Ich weiß nicht, wie ihr die Geschichte findet. Ich habe mich auf jeden Fall sehr über sie geärgert. Damit ihr auch versteht warum, erzähle ich euch nun meine Geschichte. Ich heiße Bernhard Drechsler und gehe in die fünfte Klasse der Realschule. Wir sind 31 Schüler. Eberhard und Heinz gehören auch dazu. Sie sind die „Chefs“ in der Klasse, was sie sagen, wird gemacht. Wir anderen mögen die beiden zwar nicht, aber keiner traut sich, etwas gegen sie zu sagen. Am allerwenigsten der kleine Wilhelm, obwohl er am meisten zu leiden hat. Heute Morgen haben sie wieder so etwas Gemeines gemacht. Eberhard hat einen Luftballon an dem Wasserhahn in unserem Klassenzimmer festgebunden. Kurz bevor Herr Burger hereinkam, drehte Eberhard den Hahn ein wenig auf. Der Lehrer merkte es nicht und begann mit dem Unterricht. Wir schielten immer wieder zum Wasserhahn, wo der Luftballon größer und größer wurde. Auf einmal platzte er, und das Wasser spritzte bis zu Herrn Burger. „Wer war das?“, wollte Herr Burger wissen. Als sich niemand meldete, sagte er: „Ihr habt bis zum Ende der Stunde Zeit. Wenn sich der oder die Täter bis dahin nicht melden, wisst ihr, was folgt.“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 1) Vorbilder, Wunschbilder 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 Mut, für andere einzutreten – Ideale1 mit der Wirklichkeit vergleichen 54 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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