Cornelia Funke Cornelia Funke: Das Maul des steinernen Löwen Um die Burg Bibernell vor dem gierigen Gilgalad zu retten, hat Igraine Ohnefurcht den Traurigen Ritter zu Hilfe geholt. Gerade wollen die beiden in das Maul des steinernen Löwen, den geheimen Eingang der Burg, einsteigen, als die Wächter des Gilgalad sie entdecken. Igraine will flüchten, doch der Traurige Ritter will kämpfen. Igraine zögerte. Sie hörte die aufgeregten Stimmen der Wachen, sah durch die Zweige ihre Schwerter im Mondlicht blitzen. Sechs. Sechs gegen zwei. Angst biss ihr ins Herz, und die Knie wurden weich wie Butter. Aber sie blieb, wo sie war. Sie stieg nicht in den sicheren Tunnel hinab, sondern lehnte sich weit über die steinernen Zähne. „Was ist mit Euch?“, rief sie. „Ich lass nicht zu, dass sie Euch töten.“ „Sie werden mich nicht töten“, antwortete der Traurige Ritter. […] „Ich bleib so lange hier oben sitzen, bis Ihr auch kommt!“, schrie Igraine. Ihr Herz klopfte, als säßen hundert Spinnen auf den Löwenzähnen. „Bitte! Seid doch nicht so verdammt dickköpfig!“ Gilgalads Männer hatten den Wald fast erreicht. Igraine hörte ihre Kettenhemden klirren und das Schnauben ihrer Pferde. Der Traurige Ritter schloss sein Visier. „Was habt Ihr vor?“, rief Igraine voll Angst. „Sie werden Euch in Scheiben aus Eurer Rüstung schneiden!“ Da waren die Wächter auch schon unter den Bäumen. Sie schlugen sich mit ihren Schwertern eine Bresche durch das dornige Unterholz und trieben ihre scheuenden Pferde in den Wald hinein. Der Traurige Ritter sprang aus seiner Deckung und stellte sich ihnen in den Weg. „Wer seid Ihr?“, brüllte einer der Männer. „Im Namen Gilgalads, des Großartigen, ergebt Euch!“ Ein Reiter setzte dem Traurigen Ritter drohend die Schwertspitze auf die Brust. Die anderen kamen von den Seiten, aber ihre Pferde scheuten zwischen den wispernden Bäumen. „Ich bin der Ritter vom Berg der Tränen!“, rief der Traurige Ritter und schlug das Schwert, das der Wächter ihm auf die Brust gesetzt hatte, mit dem Schild zur Seite. „Ihr nennt Euren Herrn den Großartigen, ich aber nenne ihn Gilgalad, den Gierigen, Gilgalad, den Ehrlosen!“ Wütend hoben die Wächter ihre Schwerter. Der Traurige Ritter wehrte ihre Hiebe ab, aber sie trieben ihn mit ihren Pferden zwischen die Steintatzen des Löwen. „Lasst ihn in Ruhe!“, schrie Igraine aus dem Löwenmaul. So wütend war sie, dass sie fast herunterstürzte. Ihre Angst ertrank in der Wut. Mit aller Kraft schlug Igraine einem überraschten Wächter ihr Schwert auf den 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 Wer ist hier mutig? – Über Herausforderungen nachdenken 52 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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