Nacherzählungen untersuchen und schreiben 3 Eine Nacherzählung planen und verfassen Lies den folgenden Schwank und kreuze in der Tabelle auf Seite 64 an, welche Handlungsschritte im Text vorkommen und welche nicht. Johann Peter Hebel: Der Barbierjunge von Segringen (1809) 1 Man muss Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshause zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte und fast wunderlich aussah, also, dass ihm nicht recht zu trauen war. Der sagte zum Wirt, eh er etwas zu essen oder zu trinken fordert: „Habt Ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?“ Der Wirt sagt ja und holt den Barbier1. Zu dem sagt der Fremde: „Ihr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn Ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl ich Euch vier Kronentaler. Wenn Ihr mich aber schneidet, so stech ich Euch tot. Ihr wäret nicht der erste.“ Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert2 wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und holt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge lässt sich blenden von dem Geld und denkt: „Ich wag’s. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet’s nicht, so weiß ich was ich tue“, und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiß nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn’s nur um einen Sechser oder im Fall eines Schnittes um ein Stücklein Zunder oder Fließpapier darauf zu tun wäre und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut, und dachte doch, als er fertig war: Gottlob! Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler, sagt er zu ihm: „Aber, junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt’ ich dich erstochen.“ Der Lehrjunge aber bedankt sich lächelnd für das schöne Stück Geld und sagte: „Gnädiger Herr, ihr hättet mich nicht erstochen, sondern, wenn Ihr gezuckt hättet und ich hätt’ Euch ins Gesicht geschnitten, so wär’ ich Euch zuvorgekommen, hätt Euch augenblicklich die Gurgel abgehauen, und wäre auf und davon gesprungen.“ Als der fremde Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blass vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch einen Kronentaler extra, und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: „Ich steche dich tot, wenn du mich schneidest.“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 1) altes Wort für Herrenfriseur 2) vexieren: Spaß machen, täuschen; gemeint ist: Er machte ein Gesicht, als ob er es ernst meinte. Quelle: https://www.projekt-gutenberg.org/antholog/ kalender/chap04.html (abgerufen am 14.10.2021) 63 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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