Aufgaben 80 Atavismen und Rudimente belegen die Evolution Im Jahr 2006 wurde vor Japan ein ungewöhnlicher Delfin gefangen: Er hatte neben den beiden Brustflossen noch zwei Bauchflossen, obwohl Delfine eigentlich nur Brustflossen besitzen. Die Brustflossen der Delfine sind im Verlauf der Evolution aus den Vorderbeinen ihrer landlebenden Vorfahren entstanden. Die Hinterbeine wurden zunächst zu Bauchflossen, die dann schrittweise zurückgebildet wurden (kS. 79, Abb 15). Das Auftreten einer Struktur, die nur selten bei heutigen Lebewesen ausgeprägt ist, aber typisch für deren Vorfahren war, nennt man Atavismus1. Im Fall des Delfins ist dies ein weiterer Beleg für die Abstammung der Waltiere von vierbeinigen Säugetieren. Atavismen sind also Indizien dafür, dass nicht mehr genutzte genetische Information nur stillgelegt wurde, aber nach wie vor vorhanden ist. Auch Rudimente2 liefern Belege für die Evolution. Im Gegensatz zu einem Atavismus kommt ein Rudiment bei allen Vertretern einer Art vor. Es handelt sich dabei um einen „Überrest“ einer ehemals wichtigen Struktur, die funktionslos wurde und allmählich verschwand. Auch hier gibt es bei den Walen ein Beispiel: Bei Bartenwalen finden sich noch sehr kleine Reste von Beckenknochen, an denen bei ihren Vorfahren die Hinterbeine ansetzten. Eine Funktion dieser Rudimente ist nicht mehr vorhanden. 1 Atavismus: atavus (lat.) = Urahn 2 Rudiment: rudimentum (lat.) = Anfang, Urform Ein Atavismus ist das Wiederauftreten eines Merkmals, das bei früheren Vorfahren ausgeprägt war Struktur und Funktion Manche Rudimente übernehmen im Lauf der Evolution neue Funktionen. Das Steißbein des Menschen gilt beispielsweise als Rudiment einer ehemals langeren Schwanzwirbelsaule, erleichtert uns aber heute das Sitzen. 1 W/S Finde und beschreibe weitere Beispiele für Arten mit Rudimenten oder Atavismen. Argumentiere, inwiefern diese Beispiele Belege für die Abstammung dieser Arten darstellen. 2 S Beurteile für folgende Beispiele, ob es sich um homologe oder analoge Strukturen handelt, und begründe deine Entscheidung: a) Flügel der Vögel und Flügel der Insekten; b) Grabbein von Maulwurfsgrille und Maulwurf; c) Schwimmblase der Fische und Lunge der Landwirbeltiere; d) Stachel der Rose und Dorn der Kakteen. Analogien und Homologien Merkmale, die auf eine gemeinsame Abstammung oder genetische Grundlage zurückzuführen sind, bezeichnet man als homologe Merkmale. Die Vorderextremitäten aller Landwirbeltiere sind zB homolog (kAbb. 17). Obwohl die Vorderextremitäten bei den Flippern der Wale oder den Flügeln der Fledermäuse stark abgewandelt wurden, handelt es sich dabei um homologe Strukturen, was durch zahlreiche Übergangsformen belegt ist. Homologien zählen zu den wichtigsten Belegen, um Stammbäume und Verwandtschaftsverhältnisse zu rekonstruieren. Um homologe Merkmale zu erkennen, verwendet man drei Kriterien: Sie weisen die gleiche Lagebeziehung im Körper auf. Sie gleichen sich in ihrer Feinstruktur, zB lassen sich die einzelnen Knochen der Wirbeltier-Vorderextremitäten einander zuordnen (kAbb. 17). Homologe Merkmale sind zudem kontinuierlich, d. h. sie lassen sich über Fossilfunde oder Embryonalstadien miteinander verbinden (siehe Seite 73). Im Gegensatz dazu ist die Körperform von schnell schwimmenden Tieren wie Haien, Delfinen, Pinguinen und fossilen Meeresechsen nicht auf eine gemeinsame Abstammung zurückzuführen. Eine solche Ähnlichkeit wird als Analogie bezeichnet. Analogien treten auf, wenn sich nicht näher verwandte Arten an ähnliche Umweltbedingungen angepasst haben. Bei den genannten Arten entstand unabhängig voneinander eine ähnliche Körperform. Diese geht nicht auf gleiche Gene zurück, sondern auf Anpassungen an eine schwimmende Lebensweise, bei der ein stromlinienförmiger Körper von Vorteil ist. Homologe Merkmale beruhen auf gemeinsamer Abstammung, analoge Merkmale auf Anpassung an ähnliche Umweltbedingungen Abb.17: Homologie am Beispiel der Vorderextremitäten der Säugetiere. Wal Pferd Mensch Fledermaus Oberarm Unterarm Handwurzel Mittelhand Finger Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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