Aufgaben 71 Evolutionsbiologie Entstehung der Vielzelligkeit Wenn sich Einzeller vermehren, trennen sich die beiden Tochterzellen nach der mitotischen Teilung. Bleiben die Tochterzellen aneinander haften, ist das dagegen ein erster Schritt in Richtung Vielzelligkeit. Zur echten Vielzelligkeit gehört aber noch mehr: Zusammenhängende Zellen tauschen Stoffe und Informationen aus. Dies zeigt zB die Kugelalge Volvox, die aus vielen Zellen in einer gemeinsamen Gallerthülle besteht (kAbb. 6). Die Einzelzellen ähneln einzelligen Grünalgen. Volvox besitzt zwei Typen von Zellen, somatische Zellen sowie die größeren Fortpflanzungszellen, genannt Gonidien. Je mehr Zellen zusammenhängen, desto größere Körper entstehen – was neue Vorteile eröffnet: Schutz vor Fressfeinden, Spezialisierung verschiedener Zelltypen und damit einhergehend Arbeitsteilung. Die Mehrzahl der Tiere (die Metazoa), sämtliche Landpflanzen und die meisten Pilze sind vielzellig. Die Vielzelligkeit entstand in diesen Gruppen jeweils mehrfach unabhängig. Die größte Differenzierung von Zellen zeigen Tiere. Beim Menschen kann man zB über 200 Zelltypen unterscheiden. Die ersten mehrzelligen Organismen traten wahrscheinlich bei Cyanobakterien, das heißt bei Prokaryoten, bereits vor 2–3 Mrd. Jahren auf. Die Gabonionta, die erstmals vor 2,1 Mrd. Jahren vorkamen, waren möglicherweise die ersten eukaryotischen Mehrzeller, allerdings gilt ihr Status in der Wissenschaft als umstritten. Gabonionta sind mogliche Fossilien von bis zu 17 cm großen zellkolonieartigen Formationen, die weder Tiere noch Pflanzen sind. Sie sind scheibenförmig und haben einen kugelformigen bis ellipsoiden Zentralkorper, der von einem radialen Saum begrenzt wird. Wie die Gabonionta mit nachfolgenden Formen verwandt sind, ist nicht erforscht. Vielzellige Körper ermöglichen Differenzierung und Arbeitsteilung der Zellen Kompartimentierung Arbeitsteilung erhöht die Effizienz, weil jeder Zelltyp bestimmte Aufgaben übernimmt und sich darauf spezialisieren kann. Abb. 6: Die Kugelalge Volvox besteht aus nur zwei Typen von Einzelzellen, die miteinander Stoffe austauschen und kommunizieren. In ihrem Inneren bildet sie Tochterkugeln, die sie beim Absterben und Aufreißen freisetzt. Die Kugeln sind 0,15 bis 1 mm groß. 1 S „Die Evolution der Vielzelligkeit ist auch die Evolution des Alterstodes.“ Begründe diese Aussage. Die kambrische Explosion (539 mya1) Zu Beginn des Kambriums, vor etwa 539 Mio. Jahren, entstand eine große neue Organismenvielfalt: Es entwickelten sich in einem erdgeschichtlich relativ kurzen Zeitraum (13–25 Mio. Jahre Dauer) alle heute vorkommenden Tierstamme der Metazoa (vielzellige Tiere) samt ihren speziellen Bauplanen. Auch die ersten Chordaten2, zu denen die Wirbeltiere und daher auch der Mensch gehören, traten erstmals auf. Bei anderen Organismengruppen kam es zu einer Zunahme der Artenvielfalt. Man spricht daher von der „kambrischen Explosion“. Alle Tiere im Kambrium (539–486 mya) waren Meeresbewohner. Die Gliederfußer (Arthropoden) wurden im Kambrium dominant. Zu den Arthropoden gehoren auch die Trilobiten, die ersten kambrischen Fossilien, die entdeckt wurden (kS. 67, Abb. 1). Dabei handelt es sich um dreilappig aufgebaute, am Meeresboden lebende Tiere. Manche der aus dem Kambrium durch Fossilfunde dokumentierte Organismen stammen von Gruppen, die anschließend wieder ausstarben, wie zB Marrella, das häufigste im Burgess-Schiefer in Kanada vorkommende Fossil, das eindeutig zu den Arthropoden gehört, aber zu keiner der heute existierenden Klassen. Organismen wie die fünfäugige Opabinia unterschieden sich so sehr von allen heute bekannten Gruppen, dass man annimmt, dass sie wahrscheinlich zu eigenen, ausgestorbenen Tierstämmen gehören. Weshalb samtliche Tierstamme damals entstanden, gilt nach wie vor als ungeklart. Möglicherweise setzte ein biologisches Wettrusten ein, da erstmals Organismen mit rauberischer Lebensweise auftraten. Um das Uberleben zu sichern, mussten die Organismen vermutlich rasch Strukturen zum Schutz entwickeln. Die Evolution der vielfaltigen Formen im frühen Kambrium könnte auch mit dem Entstehen von Hox-Genen3 in Zusammenhang stehen, die in der Embyonalentwicklung viele morphologische Veranderungen steuern. Am Ende des Kambriums kam es durch einen Ruckgang des Meeresspiegels zu einem Aussterben vieler Arten. 1 mya: million years ago (engl.) = Millionen Jahre vor heute 2 Chordaten: Tierstamm; Alle Chordaten besitzen unter anderem eine Chorda dorsalis, das ist ein stützender Stab im Rückenbereich, sowie ein Neuralrohr, das oberhalb der Chorda dorsalis liegt. 3 Hox-Gene: regulative Gene, die für die Gliederung des Embryos entlang der Längsachse verantwortlich sind Am Beginn des Kambriums entstanden fast alle der modernen Tierstämme Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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