Aufgaben 63 Vererbungsregeln und Humangenetik Blick in die Forschung Geschlechtsbestimmung und „DNA-Müll“ Nicht bei allen Tieren entscheiden X- und Y-Chromosomen über das Geschlecht Auf den Seiten 54 und 57 wurde erklärt, dass das Geschlecht eines Menschen durch die Gonosomen bestimmt wird: XX entspricht weiblich, XY männlich. Genauer gesagt bestimmt ein einziges Gen am Y-Chromosom, dass sich ein Embryo zu einem männlichen Individuum entwickelt. Fehlt dieses Gen, wird (korrekter: bleibt) der Embryo weiblich. Nicht überall im Tierreich gilt dies. So besitzen auch Vögel Geschlechtschromosomen, doch bei ihnen besitzt das Weibchen zwei verschiedene Gonosomen (ZW), das Männchen zwei gleiche (ZZ) (siehe Seite 54). Bei anderen Tiergruppen gibt es dagegen keinen charakteristischen Genotyp von Männchen oder Weibchen. Die Geschlechtsmerkmale von Krokodilen oder Schildkröten entwickeln sich in Abhängigkeit von den Umweltfaktoren während der Entwicklung. Man nennt dies phänotypische Geschlechtsbestimmung (kAbb. 33). Die Sonderstellung der Gonosomen Sexualität ist im evolutionären Sinn der Austausch von Erbinformation. Die zufällige Aufteilung der ursprünglich mütterlichen und väterlichen Chromosomen bei der Meiose und das Crossing-over führen bei der Bildung der Keimzellen zur Vermischung. Die Gonosomen haben hier eine Sonderstellung: Sie haben sich unabhängig voneinander entwickelt. Auch Crossing-over tritt seltener auf als bei Autosomen. Dies konnte durch ein internationales Forschungsteam belegt werden, an dem auch Wiener Genetiker rund um Qi Zhou vom Department für molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien beteiligt waren. Die Forschungsgruppe untersuchte elf Singvogelarten, bei denen sie zeigen konnten, wie sich W- und Z-Chromosomen im Laufe der Zeit auseinander entwickelten. Das Geschlecht bestimmende W-Chromosom besitzt (wie das Y-Chromosom der Säugetiere) nur sehr wenige funktionsfähige Gene. Diese sind von großer Bedeutung, sodass sie keinesfalls im Zuge der Evolution verloren gehen dürfen. Genau wie beim Y-Chromosom bei Männern gibt es bei einem Vogelweibchen nur eine Kopie des W-Chromosoms pro Zelle. Entsprechend können Veränderungen, die durch Mutationen entstehen, nicht durch den Austausch mit der intakten Version vom homologen Chromosom ausgeglichen werden (bei ZZ ist das ja möglich, ebenso wie bei XX und allen Autosomen). Und welche Rolle spielt der „DNA-Müll“? Zwischen W- und Z-Chromosom erfolgt kein Austausch von Genen (etwa durch Crossing-over), da sonst das geschlechtsbestimmende Gen auf dem falschen Chromosom landen könnte und das System der Geschlechtsbestimmung durcheinander bringen würde. Die Forschungsgruppe konnte vier Zeitpunkte nachweisen, an denen diese Rekombination unterdrückt wurde. Und hier kommt die nicht-codierende DNA ins Spiel: Dieser „DNA-Müll“ sei für den Verlust der Austauschfähigkeit verantwortlich. Mit anderen Worten: Nicht-codierende DNA-Abschnitte ermöglichten, dass die „männlichen“ und „weiblichen“ Chromosomen getrennte Wege in der Evolution gehen konnten – und mussten. Abb.33: Phänotypische Geschlechtsbestimmung. Das Geschlecht einer Meeres-Schildkröte hängt von der Außentemperatur vor dem Schlüpfen ab. 30 40 50 0 100 Temperatur (°C) Anteil (%) 1 W/S Die oben genannte Forschungsgruppe ist eine Zusammenarbeit zwischen mehreren Instituten rund um den Globus. Suche die Arbeit im Internet und nenne die Lage der Institute. Begründe die Vorteile von derartigen internationalen Kooperationen in der Forschung. Literatur Xu, L.; Auer, G.; Peona, V.; Suh, A.; Deng, Y.; Feng, S.; Zhang, G.; Blom, M. P. K.; Christidis, L.; Prost, S.; Irestedt, M.; Zhou, Q.: Dynamic evolutionary history and gene content of sex chromosomes across diverse songbirds. In: Nature Ecology & Evolution. 2019, I. 3, p. 834–844. Steuerung und Regelung Bei der phänotypischen Geschlechtsbestimmung ist in der Zygote noch nicht festgelegt, welches Geschlecht das Tier haben wird. Erst während der folgenden Zellteilungen wird die Genaktivität offenbar durch temperaturabhängige Enzyme reguliert. Dadurch wird entweder die weibliche oder die männliche Richtung in der Entwicklung eingeschlagen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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